ifb-Familienreport Bayern 2006. Zur Lage der Familie - ifb - Bayern
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<strong>ifb</strong>-<strong><strong>Familie</strong>nreport</strong> <strong>Bayern</strong> 2006<br />
Merkmale <strong>der</strong> Vater-Kind-Interaktion in <strong>der</strong> frühen und mittleren Kindheit (0-11 Jahre)<br />
Aktuelle Befunde <strong>der</strong> Bindungsforschung weisen darauf hin, dass Mütter und Väter mit jeweils<br />
spezifischen Interaktionsangeboten die Grundlage für Bindungserfahrungen legen. 66 Bei Müttern<br />
ist das Verhalten in Situationen, in denen sich das Kleinkind verunsichert fühlt, ein verlässlicher<br />
Indikator für den Bindungsstil, den das Kind in dieser Beziehung entwickelt. Dagegen ist<br />
bei Vätern die Art und Weise maßgebend, wie sie das Erkundungsverhalten – typischerweise im<br />
Kontext von Spielsituationen – ihrer Kin<strong>der</strong> unterstützen. Väter, die ihr Kind abgestimmt auf<br />
dessen innere Befindlichkeit dabei unterstützen, die Welt zu erobern, zeigen das feinfühlige Verhalten,<br />
das die Grundlage für die Ausbildung einer sicheren Bindungsrepräsentation ist (Kindler/Grossmann<br />
2004).<br />
Angefangen vom Säuglingsalter bis in die mittlere Kindheit regen Väter ihre Kin<strong>der</strong> stärker körperlich<br />
an als Mütter. Dies geschieht zumeist im körperbetonten Spiel, das sich im zweiten bis<br />
dritten Lebensjahr des Kindes zum Tobespiel entwickelt. Mit diesen gemeinsamen Aktivitäten<br />
lernen Kin<strong>der</strong>, wie sie starke Emotionen, wie z. B. große freudige Erregung o<strong>der</strong> Ärger, regulieren<br />
können. Eine Erfahrung, die für die spätere Gestaltung sozialer Beziehungen von zentraler<br />
Bedeutung ist (s. u. a. Gottmann 1997). Ferner muten Väter im Vergleich zu Müttern bereits Neugeborenen<br />
und Kleinkin<strong>der</strong>n mehr zu. So belegen Studien aus verschiedenen Kulturkreisen,<br />
dass Väter ihre Kin<strong>der</strong> stärker zur Entdeckung ihrer Umwelt ermuntern und dazu, sich auf Unbekanntes<br />
einzulassen (Kindler/Grossmann 2004; Le Camus 2001). Auch im Bereich <strong>der</strong> Sprachentwicklung<br />
liegen Befunde vor, die darauf hinweisen, dass sich Väter in <strong>der</strong> Interaktion mit<br />
ihren Kleinkin<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> verhalten – ab <strong>der</strong> zehnten Lebenswoche <strong>der</strong> Neugeborenen,<br />
wie<strong>der</strong>holen Väter ihre Äußerungen seltener als Mütter. Die unterschiedlichen Angebote, die<br />
Väter und Mütter in <strong>der</strong> Interaktion mit ihren Kleinkin<strong>der</strong>n machen, gehen Hand in Hand mit<br />
einem geschlechtsdifferenzierenden Verhalten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. So ziehen Kleinkin<strong>der</strong> Väter als Spielpartner<br />
vor während sie sich in emotional unsicheren Situationen an die Mutter wenden. An<br />
Väter richten sie häufiger instrumentelle Botschaften und erwarten offenbar weniger, dass <strong>der</strong><br />
Vater sich auf sie einstellt und ihnen etwas abnimmt. In <strong>der</strong> Interaktion mit <strong>der</strong> Mutter verhalten<br />
sich Kleinkin<strong>der</strong> hingegen for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> (Le Camus 2001).<br />
Die unterschiedlichen Akzente, die sich in den Interaktionsangeboten von Vätern und Müttern<br />
zeigen, bleiben auch in <strong>der</strong> mittleren Kindheit erhalten: Spiel und gemeinsame Unternehmungen<br />
nehmen einen deutlich höheren Anteil <strong>der</strong> Vater-Kind-Interaktion ein. Dagegen stehen in <strong>der</strong><br />
Mutter-Kind-Interaktion stärker die Organisation des Alltags und pflegerische Aspekte im<br />
Vor<strong>der</strong>grund sowie die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> kognitiven Entwicklung durch Unterstützung beim Lernen<br />
und <strong>der</strong> Bewältigung schulischer Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Merkmale <strong>der</strong> Vater-Kind-Interaktion im Jugendalter (12 - 18 Jahre)<br />
Die För<strong>der</strong>ung von Selbstständigkeit ist im Jugendalter beson<strong>der</strong>s bedeutsam, da dadurch <strong>der</strong><br />
Prozess <strong>der</strong> Individuation unterstützt werden kann. In diesem Zusammenhang wird dem Vater<br />
eine beson<strong>der</strong>s wichtige Funktion zugeschrieben: „Der Vater scheint für die zunehmende emotionale<br />
und räumliche Distanzierung und die stärkere Außenorientierung ein sehr gutes Modell<br />
zu sein“ (Seiffge-Krenke 2004: 206). Dies zeigt sich u. a. daran, dass Väter zu einem früheren<br />
66 Die Bindungstheorie geht auf John Bowlby und Mary-Ann Ainsworth zurück. Ausgangspunkt dieser mittlerweile gut belegten Theorie ist, dass<br />
Kin<strong>der</strong> in den ersten Lebensjahren eine personspezifische Bindung aufbauen. Die Erfahrungen in <strong>der</strong> Interaktion mit diesen bedeutsamen<br />
Bezugspersonen formen ein so genanntes „inner working model“, das Erwartungen an vertraute Personen und adäquates Verhalten umfasst.<br />
Der erworbene Bindungsstil beeinflusst die kognitive und sozioemotionale Entwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bis hin zur Gestaltung <strong>der</strong> eigenen Paarbeziehung<br />
und <strong>der</strong> Beziehung zu eigenen Kin<strong>der</strong>n. Der „sicher-balancierte“ Stil erweist sich im Hinblick auf verschiedene Entwicklungsmaße als för<strong>der</strong>lichster<br />
Stil. Das elterliche Verhalten, das zur Ausbildung dieses Stils beiträgt, ist dadurch gekennzeichnet, dass den Säuglingen und Kleinkin<strong>der</strong>n<br />
passgenau an <strong>der</strong>en Bedürfnislage einerseits Schutz und Trost und an<strong>der</strong>erseits Ermutigung bei <strong>der</strong> Exploration gewährt wird („Feinfühligkeit“).<br />
Eine empfehlenswerte Einführung in die Bindungstheorie bieten Ziegenhain, Fries, Bütow & Derkesen 2004.<br />
Wenn <strong>der</strong> Vater im Alltag fehlt<br />
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