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Jubiläen 2006 - Universitätsarchiv Leipzig - Universität Leipzig

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Aussagewerten und erkennt damit die Deckungsungleichheit von morphologischer<br />

Kategorie und außersprachlicher Referenz. Parallel dazu ist bei Adelung<br />

in Ansätzen auch schon die Vorstellung vom semantischen Kasus ausgeprägt,<br />

denn er formuliert bereits die Einsicht, dass jeder morphologische Kasus, also<br />

Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, ganz unterschiedliche inhaltliche Relationen<br />

auszudrücken vermag. Die Orthographie reflektiert bereits das phonetische,<br />

morphologische und etymologische Prinzip, also inkongruente orthographierelevante<br />

Aspekte, die in der deutschen Rechtschreibung teils zusammen-, teils<br />

gegeneinander wirken (und in unserer heute gültigen reformierten Orthographie<br />

vielleicht nicht immer glücklich aufeinander bezogen und gegeneinander abgewogen<br />

worden sind).<br />

Im 18. Jahrhundert begann nicht nur die Sprachwissenschaft sich als junge Wissenschaftsdisziplin<br />

herauszubilden. Es war auch eine entscheidende Etappe auf<br />

dem Weg zur Etablierung einer überregionalen und überkonfessionellen deutschen<br />

Standard- und Literatursprache. Anders als in Frankreich und England gab<br />

es in Deutschland kein höfisches Machtzentrum, das gleichzeitig als kulturelles<br />

Prestigezentrum anerkannt gewesen wäre. Dementsprechend wurde die gelehrte<br />

Debatte darüber, was „grundrichtiges“ und „kunstrichtiges“ Deutsch sei, von<br />

regionalen, häufig auch konfessionellen Standpunkten aus geführt. Im Vergleich<br />

zu manchen Zeitgenossen (wie etwa dem ostmitteldeutsch-meißnischen Hardliner<br />

Gottsched) vertrat Adelung in seinem „Lehrgebäude“ eine tolerante Auffassung:<br />

Der Sprachlehrer sei, so schreibt er, nicht Gesetzgeber der Nation, sondern<br />

nur Sammler und Herausgeber der von ihr gemachten Gesetze, ihr Sprecher und<br />

der Dollmetscher ihrer Gesinnungen. Er entscheidet nie, sondern sammelt nur<br />

die entscheidenden Stimmen der meisten. Nie läßt er sich durch Vorurtheil oder<br />

Eigenliebe verleiten, die Gesetze der Nation zu verfälschen, oder ihr seine Meinungen<br />

unterzuschieben. Ausschlaggebend bei der Entscheidung, welcher von<br />

mehreren konkurrierenden Formen- oder Aussprachevarianten im Zweifelsfalle<br />

der Vorzug zu geben sei, war für Adelung demnach also das Majoritätskriterium,<br />

wenn man so will also ein demokratisches Prinzip. Natürlich stand für den Bildungsbürger<br />

des 18. Jahrhunderts außer Frage, dass nur diejenigen Varietäten,<br />

die eine höhere Gesellschaftssprache repräsentierten, überhaupt den Anspruch<br />

erheben durften, als Grundlage für eine künftige einheitliche deutsche Nationalsprache<br />

in Betracht zu kommen.<br />

Ein abschließender Blick auf den exemplarisch ausgewählten Wortartikel Abtritt<br />

aus dem vollständig-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mag das<br />

Gesagte verdeutlichen.<br />

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