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Jubiläen 2006 - Universitätsarchiv Leipzig - Universität Leipzig

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größere Bedeutung zugewiesen hat: „In erster Linie steht, für Schule wie für<br />

<strong>Universität</strong>, daß einer Lehrer sei, erst in zweiter, daß Gelehrter.“ Der Einfluss<br />

seiner Lehre liegt wenigstens teilweise in Ritschls wissenschaftlicher Methode<br />

begründet, die nicht nur seine Publikationen, sondern auch seine Seminare prägte<br />

und später als „Bonner Schule“ bekannt geworden ist. Ritschls Methode fußt<br />

auf einer sorgfältigen Feststellung und kritischen Prüfung der Überlieferung,<br />

zieht im Gegensatz zu bloßer Wortphilologie immer auch inschriftliches Material<br />

und archäologische Funde heran und zielt letztlich auf eine „Reproduction des<br />

classischen Alterthums durch Anschauung und Erkenntniß aller seiner Aeußerungen“.<br />

Diese Gesamtsicht der antiken Zeugnisse vermittelte Ritschl jedoch in<br />

seinen Publikationen und Seminaren nicht bloß als ein Ergebnis, sondern er war<br />

stets bemüht, seine Leser und Zuhörer gleichsam seinen eigenen Erkenntnisweg<br />

nachschreiten zu lassen und sie dadurch zur eigenen, kritischen Analyse anzuregen.<br />

Zu dieser Lehrmethode, die für die Studenten in den Vorlesungen und mehr<br />

noch in den berühmten Seminaren Forschung erlebbar und lebendig machte, trat<br />

das große Charisma des Philologen hinzu, das auf seine Schüler geradezu elektrisierend<br />

wirkte und das seinen wohl bekanntesten Schüler, Friedrich Nietzsche, in<br />

Ecce homo zu der Aussage veranlasste, Ritschl sei „der einzige geniale Gelehrte,<br />

den ich bis heute zu Gesicht bekommen habe“.<br />

Ritschl verstand es jedoch nicht nur, „den eigenen Geistesfunken auf andere zu<br />

übertragen“ (so die Beschreibung seines Schülers Otto Ribbeck, dem wir eine<br />

bis heute grundlegende zweibändige Ritschl-Biographie verdanken), sondern<br />

es gelang ihm auch, früh die Neigungen und Fähigkeiten seiner Studenten zu<br />

erkennen, zu lenken und zu fördern. Mit großer Umsicht und gutem Gespür<br />

setzte er sie auf besondere Desiderata der Wissenschaft an, so z. B. Vahlen auf<br />

die Fragmente des Ennius, Ribbeck auf die Fragmente des frühen römischen<br />

Dramas, Schöll auf das 12-Tafel-Gesetz, Wilmanns auf die grammatischen Fragmente<br />

Varros und Reifferscheid auf die Reste der verlorenen Schriften Suetons.<br />

Die daraus hervorgegangenen Arbeiten waren lange Standardwerke der Klassischen<br />

Philologie, und einige von ihnen sind sogar bis heute nicht ersetzt (so<br />

z. B. die Ausgaben Ribbecks und Reifferscheids). Dank der großen Zahl seiner<br />

Schüler – an den Symbola Philologorum Bonnensium (1864), einer Festschrift<br />

zu Ehren der 25jährigen Lehrtätigkeit Ritschls in Bonn, waren schon 43 ehemalige<br />

Schüler, in der Mehrzahl <strong>Universität</strong>sprofessoren, beteiligt! – wurde Ritschl<br />

automatisch zu einem der wichtigsten Wissenschaftsorganisatoren des 19. Jahrhunderts<br />

in Deutschland. Diese Rolle spielte er auch außerhalb seines Schülerkreises,<br />

indem er mehrere altertumswissenschaftliche Großprojekte anstieß oder<br />

förderte. Als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften setzte sich<br />

Ritschl zusammen mit Theodor Mommsen erfolgreich für die Veröffentlichung<br />

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