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Jubiläen 2006 - Universitätsarchiv Leipzig - Universität Leipzig

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Heinroth war von seiner ganzen Persönlichkeit her ein eminent stark vom<br />

protestantischen Christentum beeinflusster Mensch. Auch sein psychiatrisches<br />

Gesundheits- und Krankheitskonzept ist in hohem Maße davon geprägt. Die<br />

Ursache der Seelenstörungen – worunter er im engeren Sinne nur die endogenen<br />

Störungen begriff – sah er in einer vom Kranken selbst zu verantwortenden<br />

Schuld. Diese beruhe auf „Sünde“, darunter verstand er zum einen zwar auch im<br />

wortwörtlichen Sinne eine Abkehr von Gott, zum anderen vielmehr aber noch<br />

ein den christlich-ethischen Geboten widersprechendes Leben. Also sollte in<br />

seinem Sinne darunter ein insgesamt ‚falscher‘ Lebensstil des Menschen verstanden<br />

werden, nämlich wenn dessen Begierden überwiegend auf die Befriedigung<br />

irdischer Lebensbedürfnisse und Leidenschaften gerichtet seien. Gebe der<br />

Mensch diesen nach – und im Laufe der Zeit würden sie zwangsläufig stärker,<br />

bestimmender – führe dieser Befriedigungstrieb zur psychischen Krankheit.<br />

Grundsätzlich besitze der Mensch die Freiheit, sich für einen Lebensweg zu<br />

entscheiden, und damit letztendlich auch die Gewalt über die eigene Gesundheit<br />

oder Krankheit. Es wäre zu diskutieren, inwieweit für Heinroth bereits die auf<br />

die eigene Person gestützte Selbstverwirklichung eine Übertretung der christlichen<br />

Gebote darstellte.<br />

Diese Sünden- bzw. Eigenschuldtheorie legte Heinroth, zu dessen Oeuvre auch<br />

ein poetisches Schaffenswerk gehört und der vorübergehend auch mit Johann<br />

Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) in Kontakt stand, in zahlreichen, einem<br />

sehr romantisch-verschlungenen Duktus folgenden Büchern nieder. Das berühmteste<br />

dürfte das 1818 erschienene zweibändige ‚Lehrbuch der Störungen<br />

des Seelenlebens oder der Seelenstörungen und ihrer Behandlung‘ sein. Von<br />

Vertretern biologisch orientierter Konzepte wurde Heinroth im Nachhinein vorgeworfen,<br />

er habe die Entwicklung der Seelenheilkunde als medizinisches Fach<br />

behindert und sie in die Nähe mittelalterlich-neuzeitlicher Teufelsaustreibung<br />

geführt. In Wahrheit jedoch unterschied sich die von ihm theoretisch dargestellte<br />

„indirect-psychische Methode“ in keiner Weise von Therapieoptionen, die seine<br />

zeitgenössischen Kollegen in ihren Irrenanstalten viel ausgedehnter anwenden<br />

konnten und die uns erst in zunehmender Erkenntnis mit ihren mechanischen,<br />

pharmakologischen, Zwangs- oder mitunter sogar chirurgischen Erregungs- und<br />

Erschöpfungsmethoden martialisch und unwissenschaftlich anmuten. Heinroth<br />

propagiert sie immer erst als Mittel der zweiten Wahl. Und gerade sein vielschichtiger<br />

Begriff der ‚Person‘ weist weit über somatisch Beschränktes hinaus,<br />

auf heute moderne medizinische Denkhaltungen: „Die Person ist mehr als der<br />

bloße Körper, auch mehr als die bloße Seele: sie ist der ganze Mensch“. Insofern<br />

betont Heinroths Ansatz eben sehr wohl etwas Neues, Anderes, wenn er nämlich<br />

sein Augenmerk weniger auf die bloße Beseitigung von Krankheitssymptomen<br />

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