2.8.2 <strong>Die</strong> Banalität des Wachstums Das Eindreschen auf die oberste Ebene, auf Regierungen und Konzerne, Börsen und Banken, ist in globalisierungskritischen Kreisen sehr populär – und zu einfach. <strong>Die</strong> Streitaxt der gerechten Empörung ist zu grobschlächtig. Institutionen sind nicht das Problem, sie sind Teil der Gesellschaft. Jede Gesellschaft hat die Regierungen und Konzerne, Börsen und Banken, die sie verdient. Das gleichgerichtete Handeln von Millionen einzelnen Menschen ist das Problem. Wir alle werden durch das kapitalistische System ein Stück weit zu Spekulanten und Zockern erzogen, die sich meistens im Kleinen erproben. Millionen Konsumenten, Häuslebauer, Kontoinhaber, Vorsorgesparer, Autofahrer, Touristen, Schnäppchenjäger, Verlegenheitskäufer, ... sind diejenigen, die die Richtung der Wirtschaft bestimmen. Immer wieder wird die Gier von Führungspersönlichkeiten oder ganzen Konzernen angeprangert. Gier ist jedoch ein absolut systemkonformes Verhalten, diese prominenten Gierigen nutzen lediglich größere Gelegenheiten <strong>als</strong> die anderen. Man muss daher das System hinterfragen, nicht einzelne Beteiligte. <strong>Die</strong>se Fokussierung auf die „unheilige Allianz von Kapital und Staat” darf nicht ausblenden, dass der Wettbewerb breit in der Bevölkerung angelegt ist. Natürlich gibt es Gier. Aber das System will das so. Gier fördert das Wachstum. Solange das Mantra: „Nimm keine Rücksicht, mache Profit!” in Summe den materiellen Wohlstand mehrt, akzeptiert man seine asoziale Komponente <strong>als</strong> unvermeidlichen Seiteneffekt: „Der Mensch ist halt so!” <strong>Die</strong> meisten Menschen sind aber weder besonders gierig noch besonders ignorant, sondern „ganz normal”. Sie versuchen, ihre knappe Zeit auf das zu verwenden, was ihnen wichtig ist, und übernehmen dabei ganz selbstverständlich die gesellschaftlich akzeptierten Spielregeln. Und wenn Produktivität und Profit die wichtigsten gesellschaftlichen Spielregeln sind, dann werden eben diese übernommen, denn dafür gibt es Lob und Anerkennung. Wir tun dies aus Überzeugung, Gedankenlosigkeit oder Unsicherheit heraus – und immer wieder schlicht aus realer oder gefühlter Zeitnot. Natürlich ist der Mensch mündig – wenn man ihn lässt. Dazu braucht er Ruhe, Information und vor allem die fehlende Versuchung. Daran wird er aber auf allen Kanälen gehindert. Marktwirtschaft wird eigentlich <strong>als</strong> „selbstregulierend” gelobt. Genau diese Eigenschaft hat sie derzeit im größeren Rahmen verloren: Globalisierung, Immobilienwirtschaft, Umweltschutz sind negative Beispiele für den Verlust dieser Selbstregulation. <strong>Die</strong> derzeitige Wirtschaftsform findet kein stabiles Gleichgewicht mehr, weil die Bedingungen des zugrundeliegenden Modells nicht mehr erfüllt werden. Wir leben nicht in einer Marktwirtschaft, sondern in einer durch Subventionen, Werbung und Lobbyismus verzerrten „Gerangelwirtschaft”. 2.8.3 Entfesselung <strong>Die</strong> Ideologie der Entfesselung wird Neoliberalismus genannt. Sie basiert auf der Idee einer Marktwirtschaft ohne Grenzen, denn so der Glaubenssatz: Wohlstand ist das Ergebnis vieler Egoismen, <strong>als</strong>o muss man dem Egoismus möglichst freien Raum geben und alle Grenzen niederreißen. Und zwar auf der Hersteller- wie der Konsumentenseite. Und zwar in Bezug auf jede Grenze: Staatsgrenze, gesetzliche Grenze, moralische Grenze. Der Mensch benötigt jedoch Grenzen, die ihm ermöglichen, einen Ausgleich zwischen seinen kurzfristigen und seinen langfristigen Interessen zu finden. Der Neoliberalismus wird von jenen propagiert, die von ihm profitieren. Er wird von jenen akzeptiert, die in ihn die letzte Hoffnung setzen. Denn die ganze Idee gewinnt ihren besonderen Charme erst durch die Tatsache, dass immer weniger auserwählt sind, dem modernen Adelsstand anzugehören. <strong>Die</strong> große Masse der weniger gut Ausgebildeten, weniger Leistungsfähigen, weniger Reichen ist für die passive Rolle vorgesehen. Somit ist Neoliberalismus nicht die Idee der Freiheit, sondern die Idee „des freien Fuchses im freien Hühnerstall”. Es ist eine Ideologie des Stärkeren. Es ist eine Ideologie der Eitelkeit, und jede Wachstumskritik ist eine Kränkung. 42
<strong>Die</strong> neoliberale Bewegung strebt bei der Überwindung der Grenzen nicht nur ihre eigene Entfesselung von den Beschränkungen staatlicher Bevormundung an, sondern die Entfesselung der „ganz normalen” Menschen von Vernunft, Moral und Gemeinsinn, denn sie sind diejenigen, die ihre Produkte kaufen sollen. Nur durch die Verschiebung oder das Aufgeben der moralischen Leitplanken in der breiten Bevölkerung kann es Konsumexzesse geben, und das ist gut für das Wachstum. Mit diesen Maßnahmen soll versucht werden, das Wachstum dynamisch stabil zu halten, wobei das ständig schwieriger und aufwendiger wird, mit immer dramatischeren Folgen für Menschen und Umwelt. Der Neoliberalismus braucht und fördert den zügellosen Individualismus, denn nur der Individualist verzichtet auf soziale Bindung und Verantwortung. Das Ergebnis sind zunehmende Ignoranz und Aggression: Ignoranz der Gewinner <strong>als</strong> aggressives Zurschaustellen der eigenen Macht, Ignoranz der Verlierer <strong>als</strong> aggressive Reaktion auf Überforderung und Frustration. 43
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