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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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<strong>Die</strong> „Anmerkungen zum mathematis<strong>ch</strong>en Zugang“, das ist die erste Vorbemerkung des<br />

Originaltextes <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, beginnen mit:<br />

„Das Thema dieses Bu<strong>ch</strong>es ist, dass ein Universum zum Dasein gelangt, wenn ein Raum<br />

getrennt o<strong>der</strong> geteilt wird. <strong>Die</strong> Haut eines lebenden Organismus trennt eine Außenseite von<br />

einer Innenseite. Das glei<strong>ch</strong>e tut <strong>der</strong> Umfang eines Kreises in einer Ebene. Indem wir mit<br />

unserer Darstellungsweise einer sol<strong>ch</strong>en Trennung na<strong>ch</strong>spüren, können wir damit beginnen,<br />

die <strong>Form</strong>en, die <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft wie <strong>der</strong> mathematis<strong>ch</strong>en, physikalis<strong>ch</strong>en und<br />

biologis<strong>ch</strong>en zugrunde liegen, mit einer Genauigkeit und in einem Umfang, die fast<br />

unheimli<strong>ch</strong> wirken, zu rekonstruieren, und können anfangen zu erkennen, wie die vertrauten<br />

Gesetze unserer eigenen Erfahrung unweigerli<strong>ch</strong> aus dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Akt <strong>der</strong> Trennung<br />

folgen. Der Akt selbst bleibt, wenn au<strong>ch</strong> unbewusst, im Gedä<strong>ch</strong>tnis als unser erster Versu<strong>ch</strong>,<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Dinge in einer Welt zu unters<strong>ch</strong>eiden, in <strong>der</strong> anfängli<strong>ch</strong> die Grenzen gezogen<br />

werden können, wo immer es uns beliebt. Auf dieser Stufe kann das Universum ni<strong>ch</strong>t<br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden von <strong>der</strong> Art, wie wir es behandeln, und die Welt mag ers<strong>ch</strong>einen wie<br />

zerrinnen<strong>der</strong> Sand unter unseren Füssen.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXV)<br />

<strong>Die</strong> übli<strong>ch</strong>e Methode, Wissen über die Welt o<strong>der</strong> das Universum zu erhalten, kritisiert George<br />

Spencer Brown mit einem Verweis darauf, dass sie es unterlässt, die Frage zu klären, wie es<br />

zu all dem, was man unter¬su<strong>ch</strong>t, überhaupt erst kommt und wel<strong>ch</strong>e Rolle man selbst und<br />

die eigenen Erwartungen dabei spielen.<br />

„Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erkenntnis, die dur<strong>ch</strong> Studieren <strong>der</strong> Ers<strong>ch</strong>einung dessen erlangt wird,<br />

was wir Dinge nennen, liefert uns keine Darstellung <strong>der</strong>en grundlegenden Natur, sagt ni<strong>ch</strong>ts<br />

über <strong>der</strong>en Herkunft und ni<strong>ch</strong>ts darüber, wie sie zum Existieren kamen und was sie wirkli<strong>ch</strong><br />

sind.“ (SPENCER BROWN 1995: 19)<br />

In diesem Satz verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t George Spencer Brown die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Frageri<strong>ch</strong>tung<br />

(„Wie“ statt „Was“). Indem er vorgibt zu wissen und mit den Laws of <strong>Form</strong> mitteilen zu<br />

können, was die Ursa<strong>ch</strong>e dessen ist, was wir Realität o<strong>der</strong> Universum nennen, nimmt er die<br />

Konstruiertheit dessen an, was wir „Dinge“ nennen. Seine Absi<strong>ch</strong>t ist demna<strong>ch</strong>, uns darüber<br />

aufzu¬klären, was wir taten und tun, um diese Realität zu erzeugen. Aufgrund <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

seiner Darstellung kann man sagen, dass ni<strong>ch</strong>ts aus si<strong>ch</strong> heraus besteht. Alles basiert auf<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, die jemand trifft.<br />

Kanon Null: Koproduktion<br />

Wir kommen zunä<strong>ch</strong>st auf den Zusammenhang von <strong>Form</strong> und Leere zurück: Der Anfang<br />

von allem (die Leere) ist unters<strong>ch</strong>iedslos; so unter¬s<strong>ch</strong>iedslos, dass er selbst die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iedenheit und Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit umfasst. Lao-<br />

Zi nannte ihn Dao (wir kommen auf diesen Zusammenhang explizit zu spre<strong>ch</strong>en in Kapitel III.<br />

3. im Abs<strong>ch</strong>nitt „Das Dao und <strong>der</strong> empty space“, S. 182ff.). <strong>Die</strong>s können wir als an<strong>der</strong>e Seite<br />

<strong>der</strong> <strong>Form</strong> ansehen. Na<strong>ch</strong> George Spencer Browns Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung ist das, was ein<br />

Ding ist, und das, was es ni<strong>ch</strong>t ist, <strong>der</strong> <strong>Form</strong> na<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong>, denn sie sind die beiden<br />

Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung mit einer gemeinsamen Grenze, wodur<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong><br />

gegenseitig bedingen.<br />

Das Äquivalent zu <strong>der</strong> oben erwähnten, aus dem Buddhismus kommen¬den <strong>Form</strong>ulierung<br />

<strong>der</strong> „Identität“ von <strong>Form</strong> und Leere findet si<strong>ch</strong> bei George Spencer Brown erst in <strong>der</strong><br />

deuts<strong>ch</strong>en Auflage. Es wird dem Text als Beginn <strong>der</strong> ersten Einleitung vorangestellt und als<br />

Kanon Null bezei<strong>ch</strong>net:<br />

„Der gesamte Text <strong>der</strong> Laws kann auf ein Prinzip reduziert werden, wel<strong>ch</strong>es wie folgt<br />

aufgezei<strong>ch</strong>net werden könnte.<br />

Kanon Null (Koproduktion): Was ein Ding ist, und was es ni<strong>ch</strong>t ist, sind, in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>,<br />

identis<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997: IX)<br />

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