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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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prominenteste Beispiel konstruierte Bertrand Russell mit seinem Mentor Alfred North<br />

Whitehead in den Principia Mathematica eine Theorie, die auf <strong>der</strong> Mengenlehre und einer<br />

Hierar<strong>ch</strong>ie logis<strong>ch</strong>er Klassen basiert. Damit konnten sie das Verbot einführen, na<strong>ch</strong> dem eine<br />

Menge kein Element enthalten dürfe, das vom glei<strong>ch</strong>en Typ wie die Menge selbst ist: Auf<br />

diese Weise wurden Mengen ausges<strong>ch</strong>lossen, die si<strong>ch</strong> selbst enthalten, und mithin au<strong>ch</strong> die<br />

Russells<strong>ch</strong>e und ähnli<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong>n.<br />

<strong>Die</strong>se in den Principia Mathematica ausgearbeitete so genannte „Theorie <strong>der</strong> Typen“, die<br />

Aussagen, Aussageverknüpfungen und Aussagefunktionen in eine bestimmte Stufenfolge<br />

stellt, und darüber hinaus die Aussage¬verknüpfungen na<strong>ch</strong> „Typen“ unters<strong>ch</strong>eidet, s<strong>ch</strong>ien<br />

zunä<strong>ch</strong>st die Eliminie¬rung je<strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit von <strong>Paradoxie</strong>n aus formalen Systemen zu<br />

leisten. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist es irreführend, von „leisten“ zu spre<strong>ch</strong>en, da die Typen¬theorie<br />

ledigli<strong>ch</strong> ein Verbot ausspri<strong>ch</strong>t, logis<strong>ch</strong>e Ebenen (ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> zum Beispiel Objekt, Menge<br />

von Objekten, Mengen von Mengen usw.) zu verwe<strong>ch</strong>seln. Es wird in den Principia<br />

Mathematica eine Regel aufgestellt, die bestimmte unliebsame Aussagen aus <strong>der</strong><br />

Mathematik und <strong>der</strong> Logik verbannt. <strong>Die</strong>se Regel wird dem Kalkül hinzugefügt, ohne dass sie<br />

si<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen ließe – außer im Hinblick auf ihren Erfolg, etwas Un- o<strong>der</strong><br />

Missverstandenes zu unterdrücken.<br />

In seiner Autobiografie bekennt Bertrand Russell rückblickend seine Unzufriedenheit mit<br />

seiner Typentheorie und an<strong>der</strong>en verwandten Versu<strong>ch</strong>en, da sie den Ansprü<strong>ch</strong>en an eine<br />

elegante Theorie ni<strong>ch</strong>t genügen (vgl. RUSSELL 1967: 232). Wie im Anhang <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t, hat er George Spencer Brown zu seinem Kalkül sogar gratuliert (siehe<br />

SPENCER BROWN 1997: 127f.). Denn das Verbot ist nur ein Vehikel, das außerhalb des<br />

Systems steht und das aus <strong>der</strong> Theorie ni<strong>ch</strong>t begründet werden kann. Neben dieser<br />

ästhetis<strong>ch</strong>-theoretis<strong>ch</strong>en Unzulängli<strong>ch</strong>keit ist vor allem <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Fähigkeit,<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit darzustellen, gerade heutzutage nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>metternd. Nähmen wir die<br />

Typentheorie konsequent ernst, so dürften wir beispielsweise ni<strong>ch</strong>t über Spra<strong>ch</strong>e spre<strong>ch</strong>en;<br />

und au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> komplexer Zahlen, die in vielen Zweigen <strong>der</strong> Mathematik<br />

unverzi<strong>ch</strong>tbar sind, müsste, streng genommen, untersagt werden, wie wir unten ausführen<br />

(siehe II. 2. „Imaginärer Wert und komplexe Zahlen“, S. 129ff.). Es ist offenkundig, dass<br />

unsere Welt ohne Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit unvorstellbar ist, ni<strong>ch</strong>t zuletzt vor dem Hintergrund<br />

diverser Fors<strong>ch</strong>ungsansätze und -ergebnisse aus den letzten Jahrzehnten.<br />

Im Jahre 1931 veröffentli<strong>ch</strong>te Kurt Gödel seine bedeutenden Unvollstän-digkeitssätze , na<strong>ch</strong><br />

denen alle wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreien axiomatis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>u¬lierungen <strong>der</strong> Zahlentheorie (spri<strong>ch</strong>:<br />

Kalküle, die komplex genug sind, um Zahlen zu produzieren) unents<strong>ch</strong>eidbare Aussagen<br />

enthalten müssen. O<strong>der</strong> umgekehrt formuliert: Jedes axiomatis<strong>ch</strong>e System kann nur dann<br />

alle wahren Aussagen (Vollständigkeit) <strong>der</strong> Zahlentheorie produzieren, wenn es au<strong>ch</strong><br />

wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e (mit <strong>der</strong> hier entwickelten Wortverwendung genauer: paradoxe) Aussagen<br />

hervorbringt. Indem er zeigte, dass si<strong>ch</strong> in jedem sol<strong>ch</strong>en formalen System wahre Aussagen<br />

nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>reiben und in zahlentheoretis<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>ulierungen umwandeln lassen, die ni<strong>ch</strong>t<br />

abgeleitet – also ni<strong>ch</strong>t bewiesen – werden können, entdeckte er, dass die Principia<br />

Mathematica (und verwandte Systeme) unvollständig sein müssen.<br />

Ganz knapp kann man die Unvollständigkeitssätze zusammenfassen mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong>ulierung:<br />

Jedes hinrei<strong>ch</strong>end mä<strong>ch</strong>tige formale System ist entwe<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> unvollständig.<br />

<strong>Die</strong> Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass mathematis<strong>ch</strong>e Systeme,<br />

die genügend kompliziert sind, si<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst beziehen können, indem die Sätze<br />

Aussagen über si<strong>ch</strong> selbst ma<strong>ch</strong>en. Mit dieser Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit können paradoxe<br />

Strukturen erzeugt werden. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> integrieren diese Strukturen. Sie stehen ni<strong>ch</strong>t<br />

im Wi<strong>der</strong>¬spru<strong>ch</strong> zu Kurt Gödels Einsi<strong>ch</strong>ten, son<strong>der</strong>n bestätigen sie.<br />

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