Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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Wir haben hier mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Universum und Sinnesapparat gearbeitet<br />
(die wie alle Unters<strong>ch</strong>eidungen nur „existiert“, wenn sie getroffen wird). Denn da das<br />
Universum si<strong>ch</strong> än<strong>der</strong>t in Abhängig¬keit und in Übereinstimmung mit den Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> es<br />
wahrnehmenden Sinne, haben wir Universum und Sinnesapparat ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ieden. Welt<br />
und Sinnesapparat gehören dann zusammen und wir gebrau<strong>ch</strong>en nur vers<strong>ch</strong>iedene Namen.<br />
Es spielen no<strong>ch</strong> sehr viel mehr „Faktoren“ als nur <strong>der</strong> bloße Sinnesap¬parat eine Rolle für<br />
die Realität, die wir wahrnehmen. In diesem Sinne spri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Ludwig Wittgenstein, wenn<br />
er sagt, die Welt des Glückli<strong>ch</strong>en ist eine an<strong>der</strong>e als die des Unglückli<strong>ch</strong>en (siehe<br />
WITTGENSTEIN 1997: 83 (Proposition 6.43)). Wir erleben ni<strong>ch</strong>t die glei<strong>ch</strong>e Realität. Je<strong>der</strong><br />
Beoba<strong>ch</strong>¬ter erfährt die je eigene.<br />
Wir sehen, dass selbst dann, wenn wir das „Spiel“ <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aft spielen und von einer<br />
objektiven Realität ausgehen, wir an den Punkt gelangen, dass es keine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
zwis<strong>ch</strong>en uns und <strong>der</strong> Realität gibt – es sei denn, wir treffen sie.<br />
Wahrheit und Anzeige<br />
Was wir für die Existenz einer unabhängigen/absoluten Realität halten, ist ein Ergebnis <strong>der</strong><br />
Art und Weise, wie wir beoba<strong>ch</strong>ten und bes<strong>ch</strong>reiben (genauer: <strong>der</strong>jenigen Bes<strong>ch</strong>reibungen,<br />
die wir für wahr halten). Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese wahren Bes<strong>ch</strong>reibungen sind letztli<strong>ch</strong> nur:<br />
Bezei<strong>ch</strong>nungen im Rahmen einer <strong>Form</strong>, die wir vorausgesetzt haben. Ni<strong>ch</strong>t die existente<br />
Realität ist damit die voraussetzungslose Voraussetzung, son<strong>der</strong>n die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />
Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />
Wenn es keine objektive Realität gibt, wenn nur Ers<strong>ch</strong>einungen ers<strong>ch</strong>ei¬nen, die<br />
gewissermaßen mit dem Wahrnehmenden ko-existieren und ko-evoluieren, dann können<br />
Ers<strong>ch</strong>einungen auf jede mögli<strong>ch</strong>e Weise ers<strong>ch</strong>ei¬nen. Wie eine Realität ers<strong>ch</strong>eint, hängt<br />
dann von dem Standpunkt bzw. <strong>der</strong> Anzeige ab. Was einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint, also als<br />
Realität erkannt wird, ist ni<strong>ch</strong>t wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>. Nur: Wenn i<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />
träfe, erlebte i<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e Realität.<br />
Da es keinen privilegierten Außenstandpunkt gibt, können wir das, was uns jeweils ers<strong>ch</strong>eint<br />
und was wir für wahr halten, ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen Abglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> vermeintli<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Realität absi<strong>ch</strong>ern. Wir können die Wahrheit dessen, was wir erleben aber auf unseren<br />
Standpunkt zurück¬führen. Deshalb s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown in den Anmerkungen<br />
zu den Laws of <strong>Form</strong>:<br />
„<strong>Die</strong>se <strong>Form</strong>en [des Kalküls; F. L.] sind somit ni<strong>ch</strong>t nur Vorläufer <strong>der</strong> Existenz, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong><br />
Vorläufer <strong>der</strong> Wahrheit.“ (SPENCER BROWN 1997: 88)<br />
Wahr ist, was einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint; und was ers<strong>ch</strong>eint, hängt vom Standpunkt, von<br />
Wertungen und Unters<strong>ch</strong>eidungen ab, worauf <strong>der</strong> folgende Abs<strong>ch</strong>nitt hinaus läuft.<br />
Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong> Wahrheit s<strong>ch</strong>eint mir die Anmerkung von Dirk Baecker zutreffend,<br />
na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> George Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t an irgend¬einer Tugend des Kontrafaktis<strong>ch</strong>en<br />
gelegen ist (vgl. BAECKER 1993b: 9). Es geht ni<strong>ch</strong>t um irgend etwas, das unabhängig von<br />
dem beoba<strong>ch</strong>tet werden könnte, was si<strong>ch</strong> jeweils realisiert.<br />
Anzeige und <strong>Form</strong><br />
Der Beoba<strong>ch</strong>ter erzeugt eine Existenz, indem er eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft. Mit den Laws of<br />
<strong>Form</strong> finden wir zunä<strong>ch</strong>st eine erste Identität: Etwas wird angezeigt. Wir können jedo<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>ts produzieren, ohne zuglei<strong>ch</strong> mitzu¬produzieren, was es ni<strong>ch</strong>t ist. Jede Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
können wir in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t als Aufspaltung einer Einheit ansehen. Des Weiteren<br />
produzieren wir zuglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> beiden Seiten die Grenze<br />
zwis<strong>ch</strong>en ihnen. <strong>Die</strong> dreifa<strong>ch</strong>e Identität besteht aus dem Ding (<strong>der</strong> ange¬zeigten Seite),<br />
aus dem, was es ni<strong>ch</strong>t ist, und aus <strong>der</strong> Grenze dazwis<strong>ch</strong>en.<br />
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