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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Kalkül ist selbstbestätigend insofern, als das „Experimentieren mit Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen“ die<br />

anfängli<strong>ch</strong>en Axiome liefert. Und in diesem Sinne ist au<strong>ch</strong> zu verstehen, dass <strong>der</strong> Eintritt<br />

o<strong>der</strong> Einsatz ni<strong>ch</strong>t die Annahme von etwas Gegebenen ist. Im Kalkül wird ledigli<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong>vollzogen, was man erkennen kann, wenn es mögli<strong>ch</strong> ist, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

getroffen wird. Deshalb ges<strong>ch</strong>ieht <strong>der</strong> Eintritt ni<strong>ch</strong>t als Setzung, son<strong>der</strong>n als Anwei¬sung. Es<br />

gibt keinen Anfang – nur Wie<strong>der</strong>eintritte.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> hat George Spencer Brown die Arithmetik zu <strong>der</strong> bisher unentdeckten<br />

Algebra von George Boole gefunden. <strong>Die</strong>se Arith¬metik führt aber zu einer allgemeineren,<br />

weniger einges<strong>ch</strong>ränkten Algebra, mit <strong>der</strong> die <strong>Form</strong> von <strong>Paradoxie</strong>n in das formale System<br />

integriert werden kann.<br />

Der Kalkül wird mit den Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades auf eine Weise erweitert, die ein neues<br />

Li<strong>ch</strong>t auf die Probleme wirft, die <strong>der</strong> so genannten Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik zu<br />

Grunde liegen. In <strong>der</strong> Hauptsa<strong>ch</strong>e wird deutli<strong>ch</strong>, dass es mathematis<strong>ch</strong>e statt logis<strong>ch</strong>e<br />

Strukturen sind, mit denen Mathematik fundiert wird, und dass <strong>Paradoxie</strong>n in die<br />

mathematis<strong>ch</strong>e Theorie integriert werden können.<br />

Wie oben im mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Exkurs skizziert, bestand <strong>der</strong> Umgang mit<br />

<strong>Paradoxie</strong>n, <strong>der</strong> zur Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik führte, darin, sie aus <strong>der</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong>en Theorie zu entfernen. Insbeson<strong>der</strong>e die Typentheorie kann das Verbot, das<br />

zur Eliminierung von <strong>Paradoxie</strong>n führen sollte, ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selbst o<strong>der</strong> aus den<br />

mathematis<strong>ch</strong>en Grund¬lagen begründen, ohne selbst selbstbezügli<strong>ch</strong>e Aussagen<br />

zuzulassen. Deshalb war Bertrand Russell selbst ni<strong>ch</strong>t gänzli<strong>ch</strong> zufrieden damit und ließ si<strong>ch</strong><br />

in seinen letzten Lebensjahren von George Spencer Brown über¬zeugen, wie es besser zu<br />

ma<strong>ch</strong>en sei; denn jener sah si<strong>ch</strong><br />

„(...) in <strong>der</strong> Lage, die formale Struktur, die bisher mittels <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Typen abgetan<br />

wurde, zu rehabilitieren.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXI)<br />

Unter Vorgriff auf den erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil dieses Textes kann weiterhin festgestellt<br />

werden:<br />

„Im Augenblick, in dem dann die Welt nur no<strong>ch</strong> als Beoba<strong>ch</strong>tungswelt beoba<strong>ch</strong>tet werden<br />

kann, wird ein logis<strong>ch</strong>er Strukturrei<strong>ch</strong>tum erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> den <strong>Paradoxie</strong>n stellen kann,<br />

die <strong>der</strong> Begriff des Beoba<strong>ch</strong>tens impliziert.“ (FUCHS 2003a: 76)<br />

<strong>Die</strong>s leistet <strong>der</strong> Indikationenkalkül, aufgefasst als <strong>Form</strong>alisierung des Treffens von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen bzw. <strong>Form</strong>alisierung von Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

Jede Beoba<strong>ch</strong>tung beruht auf einer Unters<strong>ch</strong>eidung. Und: Jede Unter¬s<strong>ch</strong>eidung beruht auf<br />

einer <strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> Identität des Differenten. Denn jede Unters<strong>ch</strong>eidung teilt eine Einheit. In<br />

<strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung, während des Treffens einer Unters<strong>ch</strong>eidung, entzieht si<strong>ch</strong> ihre Einheit <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>t¬barkeit. Nur mit einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung kann die erste Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

beoba<strong>ch</strong>tet werden. So folgt auf eine Beoba<strong>ch</strong>tung eine weitere. An die Stelle <strong>der</strong> für den<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter unsi<strong>ch</strong>tbaren, weil paradoxen Einheit tritt die Rekursivität <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tungen.<br />

<strong>Die</strong> Anweisung „Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung!“ ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass alles Erkennen letztli<strong>ch</strong> im<br />

Unters<strong>ch</strong>eiden besteht, also letzten Endes auf Para¬doxien beruht.<br />

„<strong>Paradoxie</strong>n sind unvermeidli<strong>ch</strong>, sobald die Welt (<strong>der</strong> `unmarked space´ Spencer Browns)<br />

dur<strong>ch</strong> irgendeine Unters<strong>ch</strong>eidung verletzt wird.“ (LUHMANN 1992: 129)<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end kann es ni<strong>ch</strong>t darum gehen, <strong>Paradoxie</strong>n vermeiden zu wollen. Viel eher<br />

führen <strong>Paradoxie</strong>n zu <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, dass unser rationales, zweiwertiges Denken ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

„Weisheit letzter S<strong>ch</strong>luss“ sein kann. <strong>Die</strong> „letzten Fragen“ führen uns immer wie<strong>der</strong> in<br />

<strong>Paradoxie</strong>n.<br />

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