12.10.2014 Aufrufe

Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Man erfährt si<strong>ch</strong> stets selbst als den Handelnden, Spre<strong>ch</strong>enden und Denkenden, Fühlenden.<br />

Au<strong>ch</strong> wenn man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t immer im glei<strong>ch</strong>en Maße dieser grundlegenden Unters<strong>ch</strong>ei¬dung<br />

bewusst ist, so kann man sie do<strong>ch</strong> stets und unzweifelhaft erkennen.<br />

Wir gehen hier also davon aus, dass wir als Mens<strong>ch</strong>en, o<strong>der</strong> differen¬zierter: lebende und<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Systeme, notwendig eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen haben: die zwis<strong>ch</strong>en uns und<br />

dem An<strong>der</strong>en, dem Text, dem Gegenüber, dem Objekt. Das meint, dass wir uns bewusst<br />

ma<strong>ch</strong>en können, dass wir es sind, die die Dinge so sehen, wie wir sie sehen. <strong>Die</strong>se<br />

Selbst¬reflexion ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t permanent, ist aber stets mögli<strong>ch</strong>. Das heißt: Wir können<br />

uns <strong>der</strong> Anweisung, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen, ni<strong>ch</strong>t entziehen, weil wir ihr au<strong>ch</strong> folgen,<br />

wenn wir ihr ni<strong>ch</strong>t folgen wollten. Wir treffen eine Ents<strong>ch</strong>eidung – auf Grundlage einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Mit dem Verweis auf den Beoba<strong>ch</strong>ter ist immer mitgemeint, dass ein Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t eine<br />

Welt vorfindet, weil sie etwas an<strong>der</strong>es als er ist und er die in ihr enthaltenen o<strong>der</strong><br />

vorhandenen Unters<strong>ch</strong>iede erkennen kann – und das dann besser o<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter, also<br />

wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>. Der Wahrheits¬begriff hat einen dezentraleren Ort (siehe III .2. „Von<br />

Existenz zu Leere“, vor allem Seite 168). Vielmehr ist mit <strong>der</strong> Figur des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

intendiert, darauf hinzuweisen, dass er selbst die Unters<strong>ch</strong>eidungen trifft, um ein<br />

ungeformtes Medium (Welt) für si<strong>ch</strong> selbst handhabbar zu ma<strong>ch</strong>en. Das ungeformte Medium<br />

ist ni<strong>ch</strong>t (von si<strong>ch</strong> aus) vers<strong>ch</strong>ieden vom Beoba<strong>ch</strong>ter.<br />

<strong>Die</strong>ser Abs<strong>ch</strong>nitt zum Beoba<strong>ch</strong>ter spiegelt die S<strong>ch</strong>wierigkeit <strong>der</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Produktion<br />

einer Figur, die ni<strong>ch</strong>t im Subjekt-Objekt-Dualismus situiert ist. Der Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

repräsentiert eine Welt und entsteht selbst im Prozess des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Er ist ni<strong>ch</strong>t zu denken als jemand, <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidungen willkürli<strong>ch</strong> trifft, er geht den<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen zeitli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t voran. Er ist na<strong>ch</strong> dieser Konzeption ledigli<strong>ch</strong> die Instanz, in<br />

<strong>der</strong> wir als Beoba<strong>ch</strong>ter den Prozess <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung feststellen können. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist<br />

das selbstreflexive, selbstbezügli<strong>ch</strong>e Moment „innerhalb“ <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Der Beoba<strong>ch</strong>ter kann<br />

beoba<strong>ch</strong>ten, dass er in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> ist, dass er mit <strong>Form</strong>en/Grenzen „spielt“ – wie au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en ihm als Beoba<strong>ch</strong>ter und ihm als Beoba<strong>ch</strong>tetem.<br />

Der Neurobiologe und Kognitionsfors<strong>ch</strong>er Humberto R. Maturana war einer <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong><br />

die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters für jede Erkenntnis über die Welt, die Realität o<strong>der</strong> das<br />

Universum wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> klar herausstellte. Eine seiner bedeutsamsten und radikalsten<br />

Aussagen ist:<br />

„Alles, was gesagt wird, wird von jemandem gesagt.“ (MATURANA; VARELA 1987: 32)<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> kann man diesen Satz umformulieren in:<br />

„Alles, was unters<strong>ch</strong>ieden wird, wird von einem Beoba<strong>ch</strong>ter unters<strong>ch</strong>ieden.“ (LAU 2005: 156)<br />

Mit beiden Sätzen wird ein Unters<strong>ch</strong>ied zu einer, man muss es wohl so sagen: obsoleten<br />

Auffassung von Welt hervorgehoben. Von einer objek¬tiven, also Beoba<strong>ch</strong>ter unabhängigen<br />

Welt ausgehend, muss <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter aus <strong>der</strong> Welt heraus gehalten werden. Spielte <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>der</strong> Welt eine Rolle für das „Dasein“ <strong>der</strong> Welt, würde zumindest <strong>der</strong> Zugang zur<br />

Welt in Frage gestellt sein, wenn ni<strong>ch</strong>t eine objektive Realität überhaupt. Mit den Laws of<br />

<strong>Form</strong> wird wie bei Humberto R. Maturana die These vertreten, dass jedes Erkennen einer<br />

Realität, einer Welt, die Leistung eines Beoba<strong>ch</strong>ters mit seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen, das heißt<br />

Wertungen, Erwar¬tungen, Präferenzen etc., ist.<br />

Das heißt also, dass die Berücksi<strong>ch</strong>tigung des Beoba<strong>ch</strong>ters und seine Integration in das<br />

Erkannte zu einer fundamentalen erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Umstellung führt: Ausgangspunkt<br />

aller Erkenntnis ist ni<strong>ch</strong>t etwas ist so-und-so, son<strong>der</strong>n etwas ist für jemanden so-undso.<br />

Damit än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die an Erkenntnis orientierte Frageri<strong>ch</strong>tung:<br />

An Stelle von:<br />

Wie erkennt ein Beoba<strong>ch</strong>ter die Welt ri<strong>ch</strong>tig?<br />

91

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!