Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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ni<strong>ch</strong>t von Systemen aus, son<strong>der</strong>n untersu<strong>ch</strong>en, was ers<strong>ch</strong>iene, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
getroffen würde.<br />
1. Beoba<strong>ch</strong>tungen des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />
Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t wurde in mehreren Naturwissens<strong>ch</strong>aften eine episte¬mologis<strong>ch</strong>e<br />
Entdeckung gema<strong>ch</strong>t, die das bisher vorherrs<strong>ch</strong>ende wissen¬s<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Paradigma ins<br />
Wanken bra<strong>ch</strong>te: Es wurde die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters für das Beoba<strong>ch</strong>tete entdeckt.<br />
Von <strong>der</strong> Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters wird gespro<strong>ch</strong>en, um zu kennzei<strong>ch</strong>nen, dass das<br />
Beoba<strong>ch</strong>tete ni<strong>ch</strong>t unabhängig vom Beoba<strong>ch</strong>ter ist: Der Beoba<strong>ch</strong>ter bedingt das von ihm<br />
Beoba<strong>ch</strong>tete (mit). Für die Neurobiologie hat Humberto Maturana gemeinsam mit Francesco<br />
Varela die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters und seiner Maßstäbe und Wertungen für jegli<strong>ch</strong>es<br />
Wahrnehmen und Erkennen herausgearbeitet. Wie au<strong>ch</strong> in konstruktivistis<strong>ch</strong>en<br />
Erkenntnistheorien ist hier mit dem „Beoba<strong>ch</strong>ter“ gemeint, dass ein System o<strong>der</strong><br />
Bewusstsein (jedenfalls: eine Differenz, die als Einheit beoba<strong>ch</strong>tbar ist) eine Welt erfährt und<br />
wahrnimmt, indem diese „Einheit“ die Welt strukturiert, und zwar mit eigenen Mustern,<br />
Gewohnheiten, Wertvorstellungen etc. Neben dieser Entdeckung in <strong>der</strong> Biologie liefert die<br />
mo<strong>der</strong>ne Physik ein prominentes und fundamentales Beispiel für die Bedeutung des<br />
Beoba<strong>ch</strong>¬ters: In quantenme<strong>ch</strong>anis<strong>ch</strong>en Experimenten wurde deutli<strong>ch</strong>, dass die<br />
Versu<strong>ch</strong>sanordnung (und damit die Absi<strong>ch</strong>t des Experimentators) bestimmt, wel<strong>ch</strong>e<br />
Phänomene ers<strong>ch</strong>einen. Es liegen somit experimentelle Bestätigungen für die These vor,<br />
dass je na<strong>ch</strong> den Unters<strong>ch</strong>eidungen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter verwendet, ihm die Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />
ers<strong>ch</strong>eint. Zum Beispiel tritt das Phänomen Li<strong>ch</strong>t je na<strong>ch</strong> Versu<strong>ch</strong>saufbau als Welle o<strong>der</strong> als<br />
Teil<strong>ch</strong>en auf. Au<strong>ch</strong> die Uns<strong>ch</strong>ärferelation von Werner Heisenberg verweist auf den<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter. In eben diesem Sinne s<strong>ch</strong>afft <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter die Welt, wie er sie erlebt, mit<br />
seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist in dieser Konzeption eben ni<strong>ch</strong>t (nur) ein Teil<br />
<strong>der</strong> Welt, son<strong>der</strong>n die an<strong>der</strong>e Seite dessen, was er als Welt erfährt.<br />
<strong>Die</strong>ses Kapitel erläutert die Entdeckung <strong>der</strong> Figur des Beoba<strong>ch</strong>ters, wie sie si<strong>ch</strong> in den Laws<br />
of <strong>Form</strong> darstellt. Dazu kommen wir zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> einmal auf das letzte Kapitel des<br />
Indikationenkalküls zurück, in dem <strong>der</strong> die ganze Zeit implizite Beoba<strong>ch</strong>ter dur<strong>ch</strong> den reentry<br />
<strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong> explizit gefunden wurde. Von dort aus wird eine Definition <strong>der</strong><br />
Beoba<strong>ch</strong>tung si<strong>ch</strong>tbar, die au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Systemtheorie von Niklas Luhmann zugrunde liegt. Für<br />
die Darstellung des Beoba<strong>ch</strong>tungsbegriffes wurde die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />
Beoba<strong>ch</strong>tung erster und zweiter Ordnung gewählt, die au<strong>ch</strong> Niklas Luhmann gebrau<strong>ch</strong>t und<br />
die ursprüngli<strong>ch</strong> von Heinz von Foerster mit <strong>der</strong> second or<strong>der</strong> cybernetics formuliert wurde.<br />
<strong>Die</strong> allgemeine <strong>Form</strong> des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />
Den Ausgangspunkt <strong>der</strong> folgenden Überlegungen fanden wir s<strong>ch</strong>on im zweiten Kapitel <strong>der</strong><br />
Laws of <strong>Form</strong>. Er führte zu <strong>der</strong> Frage, was denn die erste Unters<strong>ch</strong>eidung sei bzw. in<br />
wel<strong>ch</strong>em Raum sie getroffen wird. Dass wir uns s<strong>ch</strong>on immer auf <strong>der</strong> Innenseite eines<br />
crosses befinden, bes<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown folgen<strong>der</strong>maßen:<br />
„Nimm an, je<strong>der</strong> s0 [<strong>der</strong> sei<strong>ch</strong>teste Raum, also <strong>der</strong> Raum, in dem <strong>der</strong> Ausdruck als ganzer<br />
steht; F. L.] werde von einem unges<strong>ch</strong>riebenen Kreuz umgeben.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />
7)<br />
<strong>Die</strong>se Aussage entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Feststellung, dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung, die getroffen wird,<br />
eine Einheit teilt. Wenn es tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine erste Unter¬s<strong>ch</strong>eidung gäbe, müsste sie allen<br />
an<strong>der</strong>en vorangehen und dürfte selbst keinen Raum teilen, da dieser wie<strong>der</strong> eine Seite einer<br />
an<strong>der</strong>en Unters<strong>ch</strong>ei¬dung wäre. Denn alles, was ist, ist, was es ist, weil es entspre<strong>ch</strong>end<br />
unter¬s<strong>ch</strong>ieden ist – und ni<strong>ch</strong>t ist, was es ni<strong>ch</strong>t ist. Das heißt: Jede Einheit ist eine Seite<br />
einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />
Der re-entry ist die Beoba<strong>ch</strong>tung o<strong>der</strong> das Gewahrwerden des unserem Standpunkt<br />
ums<strong>ch</strong>riebenen Kreuzes, des unges<strong>ch</strong>riebenen Kreuzes. Zum Beispiel: Wenn wir etwas mit<br />
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