Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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meiner Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung. I<strong>ch</strong> kann den Versu<strong>ch</strong> meiner Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung beoba<strong>ch</strong>ten,<br />
dabei eine weitere Unters<strong>ch</strong>eidung treffend. I<strong>ch</strong> sehe jetzt, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als mi<strong>ch</strong>-selbstbeoba<strong>ch</strong>tend<br />
beoba<strong>ch</strong>te. Und nun sehe i<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als jemanden beoba<strong>ch</strong>te, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong><br />
selbst als si<strong>ch</strong>-selbst-beoba<strong>ch</strong>tend beoba<strong>ch</strong>tet etc. Man sieht das eigene aktuelle Denken,<br />
indem man einen weiteren Gedanken ans<strong>ch</strong>ließt, <strong>der</strong> dann <strong>der</strong> aktuelle ist. Man oszilliert<br />
zwis<strong>ch</strong>en: si<strong>ch</strong> als aktuelle Tätigkeit zu sehen und si<strong>ch</strong> selbst dabei in eine weitere<br />
Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem Beoba<strong>ch</strong>ter und dem Beoba<strong>ch</strong>teten getrennt zu haben.<br />
<strong>Die</strong>se paradoxe Figur wird auf den Punkt gebra<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong>u¬lierung: I<strong>ch</strong> kann (mi<strong>ch</strong>)<br />
nur dadur<strong>ch</strong> sehen, indem i<strong>ch</strong> es unmögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>e, (mi<strong>ch</strong>) zu sehen; indem i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als<br />
Einheit zu gewinnen su<strong>ch</strong>e, trenne i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>. Zuglei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint es ganz unproblematis<strong>ch</strong> zu<br />
sein, mi<strong>ch</strong> selbst zu beoba<strong>ch</strong>ten, da „i<strong>ch</strong>“ diese <strong>Paradoxie</strong> in einem zeitli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>¬einan<strong>der</strong><br />
auflöse mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Teil und Ganzem.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong> des Beoba<strong>ch</strong>ters hängt zusammen mit folgen<strong>der</strong> Überlegung, die uns auf die<br />
<strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> Welt führt: <strong>Die</strong> Welt, das Universum, „Alles“ (wie au<strong>ch</strong> immer wir es benennen<br />
wollen) ist eine Ganzheit, eine Einheit. Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint es unters<strong>ch</strong>ieden (für einen<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter), aber als Ganzes ist die Welt o<strong>der</strong> das Universum eine Einheit. Zu dieser<br />
Beoba<strong>ch</strong>tung und Bes<strong>ch</strong>reibung kann es aber nur kommen, weil Welt (auf wel<strong>ch</strong>e Weise<br />
au<strong>ch</strong> immer) beoba<strong>ch</strong>tet wird. Wenn si<strong>ch</strong> Welt aber selbst beoba<strong>ch</strong>tet, bekommt sie si<strong>ch</strong> als<br />
Ganzheit ni<strong>ch</strong>t mehr in den Blick, denn sie muss si<strong>ch</strong> unterteilen in einen beoba<strong>ch</strong>tenden<br />
und einen beoba<strong>ch</strong>teten Zustand. Was die Welt also sieht (wenn wir so formulieren wollen,<br />
dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter die Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Welt repräsentiert) , ist nur zum Teil sie selbst, da<br />
sie si<strong>ch</strong> in ihrer Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung verhalten muss, als wäre sie von si<strong>ch</strong> selbst<br />
unters<strong>ch</strong>ieden. Eben dur<strong>ch</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung entzieht si<strong>ch</strong> die Welt in ihrer Ganzheit <strong>der</strong><br />
Beoba<strong>ch</strong>tung, denn die Beoba<strong>ch</strong>tung und ihr Einfluss auf das Beoba<strong>ch</strong>tete sind Welt. <strong>Die</strong><br />
Welt verän<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> mit unserer Beoba<strong>ch</strong>tung, und ein Beoba<strong>ch</strong>ter kann sie nie als das<br />
erkennen, was o<strong>der</strong> wie sie (ohne ihn) ist. Würde das gelingen, träfen wir bei <strong>der</strong><br />
Beoba<strong>ch</strong>tung keine Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />
Das Universum ist auf eine Art und Weise bes<strong>ch</strong>affen, die es befähigt, si<strong>ch</strong> selbst zu sehen,<br />
ohne dabei je alles – die ungetrennte Einheit, die den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Universum und<br />
Erkennendem übersteigt – sehen zu können. Und es ist weiterhin in <strong>der</strong> Lage zu erkennen,<br />
dass es dies ist, was es kann.<br />
Letztli<strong>ch</strong> heißt das in beiden Fällen: Jede Absi<strong>ch</strong>t auf vollständige Bes<strong>ch</strong>reibung, die nur<br />
vollständig ist, wenn sie si<strong>ch</strong> selbst einbezieht, läuft auf das Problem <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> auf.<br />
Aber: <strong>Die</strong> unmittelbare Erfahrung von Welt kann nie paradox sein, denn alles ist, wie es ist.<br />
Auf dieser Ebene – die Dinge sind, wie sie sind – kann keine <strong>Paradoxie</strong> auftreten, da es nur<br />
diese eine Ebene gibt, ni<strong>ch</strong>ts könnte an<strong>der</strong>s sein; daher kann keine Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />
vorgefunden werden. Nur die Beoba<strong>ch</strong>tung und Bes<strong>ch</strong>reibung (<strong>der</strong> Erfahrung) von Welt kann<br />
paradox sein. Wir finden au<strong>ch</strong> bei Niklas Luhmann:<br />
„Ein Paradox ist ja immer ein Problem eines Beoba<strong>ch</strong>ters. Wollte man behaupten, das Sein<br />
selbst wäre paradox, wäre eben diese Behauptung paradox.“ (LUHMANN 1990: 123)<br />
<strong>Die</strong> Behauptung wäre paradox, weil sie selbst dem „Sein“ zugere<strong>ch</strong>net werden muss.<br />
Als Einheit muss Beoba<strong>ch</strong>tung bereits von etwas an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden (und markiert)<br />
sein: Man kann ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>eiden, ohne bereits unter¬s<strong>ch</strong>ieden zu haben. Beoba<strong>ch</strong>ter<br />
können demna<strong>ch</strong> die Welt per se nie sehen. Sie können nur si<strong>ch</strong> selbst in <strong>der</strong> Welt sehen<br />
(siehe III. 3. den Abs<strong>ch</strong>nitt „Zen“, S. 190ff.).<br />
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