Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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„Wir erzeugen eine Existenz, indem wir die Elemente einer dreifa<strong>ch</strong>en Identität<br />
auseinan<strong>der</strong>nehmen. <strong>Die</strong> Existenz erlis<strong>ch</strong>t, wenn wir sie wie<strong>der</strong> zusammenfügen. Jede<br />
Kennzei<strong>ch</strong>nung impliziert Dualität, wir können kein Ding produzieren, ohne Koproduktion<br />
dessen, was es ni<strong>ch</strong>t ist, und jede Dualität impliziert Triplizität: Was das Ding ist, was es<br />
ni<strong>ch</strong>t ist, und die Grenze dazwis<strong>ch</strong>en. Wie im Kapitel 1 <strong>der</strong> Laws dargelegt, können wir ni<strong>ch</strong>t<br />
irgend etwas kennzei<strong>ch</strong>nen, ohne zwei Zustände zu definieren, und wir können ni<strong>ch</strong>t zwei<br />
Zustände definieren, ohne drei Elemente zu ers<strong>ch</strong>affen. Ni<strong>ch</strong>ts davon existiert in <strong>der</strong> Realität<br />
o<strong>der</strong> getrennt von den an<strong>der</strong>en.“ (SPENCER BROWN 1997: XVIII)<br />
Das Konzept <strong>der</strong> Differenz liegt dem Konzept von Einheit zu Grunde: Ein Beoba<strong>ch</strong>ter<br />
erkennt etwas als Einheit, weil er die Einheit von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>eidet. Ohne den<br />
Gebrau<strong>ch</strong> von Differenz kann keine Einheit beoba<strong>ch</strong>tet werden. <strong>Die</strong> Zweiheit geht <strong>der</strong> Einheit<br />
voraus, denn eine Einheit (das, was wahrgenommen wird) ist nur in Abgrenzung zu dem,<br />
was sie ni<strong>ch</strong>t ist, erfassbar.<br />
Aber als Differenz ist die Differenz eine Einheit. Sie unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von an<strong>der</strong>en<br />
Differenzen. Einheiten sind in <strong>Form</strong> von Differenz hand¬habbar. Und insofern geht <strong>der</strong><br />
Zweiheit immer eine Einheit voraus, denn Zweiheit kommt nur zustande, indem eine Einheit<br />
geteilt, unters<strong>ch</strong>ieden wurde.<br />
<strong>Die</strong> Welt enthält keine Einheiten. Sie ist die All-Einheit, in <strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>ieht, was ges<strong>ch</strong>ieht. Nur<br />
ein Beoba<strong>ch</strong>ter konstruiert Einheiten. Der Beoba<strong>ch</strong>ter gebrau<strong>ch</strong>t Differenzen, um mit<br />
Einheiten (vermittels Bezei<strong>ch</strong>¬nungen) operieren zu können.<br />
Das heißt also, dass je<strong>der</strong> Standpunkt (jede Anzeige) auf eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung (<strong>Form</strong>)<br />
zurückführbar ist. Jede Welt ist eine beoba<strong>ch</strong>tete Welt.<br />
<strong>Form</strong> und Leere<br />
<strong>Die</strong> für Lebewesen erfahrbare Welt ist vollkommen in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Dadur<strong>ch</strong>, dass sie <strong>Form</strong> ist,<br />
ist sie erfahrbar. Lebewesen können etwas nur wahr¬nehmen o<strong>der</strong> erkennen, weil sie es von<br />
an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden haben. Wäre es ni<strong>ch</strong>t von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden – in wel<strong>ch</strong>er <strong>Form</strong><br />
au<strong>ch</strong> immer –, dann wäre es ni<strong>ch</strong>t wahrnehmbar. Wäre es ni<strong>ch</strong>t von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden,<br />
würde es keinen Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>en. Nur so kann es erkannt werden. <strong>Die</strong>s gilt für<br />
Gegenstände, den eigenen Körper, Gedanken, Gefühle und alles an<strong>der</strong>e. Also ist alles, was<br />
auf irgend eine Art und Weise ist, also von einem Beoba<strong>ch</strong>ter wahrgenommen o<strong>der</strong> erkannt<br />
wird, <strong>Form</strong>. Alles ist, wie au<strong>ch</strong> immer es ist – jedenfalls vers<strong>ch</strong>ieden von an<strong>der</strong>em.<br />
Der „Logik“ <strong>der</strong> <strong>Form</strong> entspri<strong>ch</strong>t, dass mit <strong>Form</strong> au<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> <strong>Form</strong> koproduziert<br />
wird. Wenn wir über das spre<strong>ch</strong>en, was den Rahmen o<strong>der</strong> die Grundlage für die<br />
Unters<strong>ch</strong>eidungen symbolisiert, benötigen wir einen Namen, <strong>der</strong> (für dieses „Unding“) jedo<strong>ch</strong><br />
keinen erläuternden Charakter haben kann, da er als Name s<strong>ch</strong>on Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen trägt.<br />
Unter diesem Vorbehalt nennen wir ihn in Anlehnung an George Spencer Brown empty<br />
space. Der Name und das Spre<strong>ch</strong>en über etwas suggerieren s<strong>ch</strong>on, dass da etwas wäre.<br />
Das ist das Dilemma, in das wir uns begeben, wenn wir über das spre<strong>ch</strong>en, in dem<br />
Unters<strong>ch</strong>eidungen getroffen werden und das selbst unters<strong>ch</strong>iedslos ist. Wir gebrau<strong>ch</strong>en eine<br />
buddhistis<strong>ch</strong>e Ans<strong>ch</strong>auung, um zu formulieren: Das Medium <strong>der</strong> <strong>Form</strong> ist die Leere.<br />
Der Begriff <strong>der</strong> Leere bezei<strong>ch</strong>net die „völlige“ Abwesenheit jedes Unters<strong>ch</strong>iedes. Das Bild<br />
des leeren Raumes geht also fehl, da Leere we<strong>der</strong> auf einer <strong>der</strong> Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
leer/ni<strong>ch</strong>t-leer ist no<strong>ch</strong> die Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen beinhaltet, die benötigt werden, um die Idee<br />
eines Raumes (im umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sinne) zu haben. Nimmt man den ersten Satz des<br />
Absatzes als Bes<strong>ch</strong>reibung von Leere, so gilt selbiges für Anwesen¬heit/Abwesenheit und<br />
Unters<strong>ch</strong>iedenheit/Identität. Keine Bes<strong>ch</strong>reibung kann Leere wie<strong>der</strong>geben. <strong>Die</strong> Leere „ist“,<br />
wie das Universum ohne wahr¬nehmenden Beoba<strong>ch</strong>ter/Sinnesapparat ist. Leere meint:<br />
keine Etwas-heit, die Abwesenheit jegli<strong>ch</strong>er Dinghaftigkeit; in <strong>der</strong> Leere kann auf ni<strong>ch</strong>ts<br />
zugegriffen werden, weil ni<strong>ch</strong>ts angezeigt ist, weil ni<strong>ch</strong>ts unters<strong>ch</strong>ieden ist. Leere ist<br />
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