Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wir befinden uns also weiterhin in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, die dur<strong>ch</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit in eine zeitli<strong>ch</strong>e<br />
Dimension ausgedehnt wird. Im 11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ges<strong>ch</strong>ieht damit etwas<br />
vollkommen Neues. Zu Beginn des Kalküls wurde mit <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung als<br />
„perfekter Be-Inhaltung“ eine Grenze gezogen. Mit dem re-entry entdecken wir hier nun die<br />
an<strong>der</strong>e Seite dieser ursprüngli<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong>en Grenzziehung. Über die Einheit einer jeden<br />
Unters<strong>ch</strong>eidung – mathematis<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Raum, in dem die Unter¬s<strong>ch</strong>eidung getroffen wurde –<br />
sind ihre Seiten (imaginär) verbunden. <strong>Die</strong> eine Seite ist ni<strong>ch</strong>ts ohne die an<strong>der</strong>e. <strong>Die</strong> Figur<br />
des re-entry verweist gerade auf die Einheit <strong>der</strong> zwei Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung und damit<br />
auf <strong>der</strong>en voneinan<strong>der</strong> abhängigem Bestehen. Sie haben ni<strong>ch</strong>t nur eine gemeinsame<br />
Grenze. Man gelangt von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e trotz und wegen <strong>der</strong> Trennung.<br />
Damit än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> die Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Mit dem imagi¬nären Wert wird die<br />
Grenze zwis<strong>ch</strong>en den Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung unterwan<strong>der</strong>t. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die<br />
in si<strong>ch</strong> selbst auf einer ihrer Seiten wie<strong>der</strong> vorkommt, trennt ihre beiden Seiten ni<strong>ch</strong>t mehr<br />
perfekt, da man von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e gelangt, ohne die Grenze zu kreuzen. Das<br />
Bild des Tunnels symbolisiert genau dies: auf die an<strong>der</strong>e Seite zu gelangen, ohne zu<br />
kreuzen, dafür aber Zeit in Anspru<strong>ch</strong> zu nehmen. Wir hatten ihre Perfektion bezügli<strong>ch</strong> Be-<br />
Inhaltung die ganze Zeit angenommen und finden nun, dass sie so ni<strong>ch</strong>t ist; perfekte Be-<br />
Inhaltung „beinhaltet“ Imperfektion.<br />
George Spencer Brown gibt jedo<strong>ch</strong> keine neue Definition an. Er stellt ledigli<strong>ch</strong><br />
verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>end heraus, dass die ursprüngli<strong>ch</strong>e Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung erweitert<br />
werden muss, da man mit <strong>der</strong> Zeit von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e gelangt, ohne <strong>der</strong>en<br />
Grenze zu kreuzen.<br />
Au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Raum und Zeit kann verans<strong>ch</strong>au¬li<strong>ch</strong>t werden, was<br />
mit <strong>der</strong> Definition, wie wir sie ursprüngli<strong>ch</strong> kennen gelernt haben, hier ges<strong>ch</strong>ieht: Zu Beginn<br />
hatten wir die Unters<strong>ch</strong>eidung nur für ihre räumli<strong>ch</strong>e Hinsi<strong>ch</strong>t definiert. In <strong>der</strong> Zeit kann die<br />
Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung übers<strong>ch</strong>ritten werden, wobei die räumli<strong>ch</strong>e Trennung perfekt<br />
bleibt. Alles wandelt si<strong>ch</strong>, und denno<strong>ch</strong> können Beoba<strong>ch</strong>ter an bestehenden Identitäten<br />
festhalten.<br />
<strong>Die</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung können wir au<strong>ch</strong> lesen als: Mit Festlegung<br />
finden wir Verän<strong>der</strong>ung. Insofern sind die beiden Seiten ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ieden. Sie gründen in<br />
einer Einheit (Verbundenheit), die man mit Zweiheit ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>en kann. Mit <strong>der</strong> Einführung<br />
von Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit kommt die Einheit in <strong>der</strong> hier vorliegenden <strong>Form</strong> wie<strong>der</strong> in den<br />
Blick. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist etwas so o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s, es ist festgelegt. Aber alles<br />
ist im Wandel, in Bewegung, und das können wir mit Hilfe <strong>der</strong> Idee von Zeit erkennen.<br />
Eine offenkundige und angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> den Laws of <strong>Form</strong> vorangestellten <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>riftzei<strong>ch</strong>en naheliegende Analogie finden wir in dem Symbol von Yin-Yang, das aus <strong>der</strong><br />
daoistis<strong>ch</strong>en Tradition stammt.<br />
<br />
<strong>Die</strong> weiße und die s<strong>ch</strong>warze Flä<strong>ch</strong>e stehen für die <strong>Form</strong> einer Unters<strong>ch</strong>ei¬dung. <strong>Die</strong>se<br />
Unters<strong>ch</strong>eidung steht auf einer Seite einer weiteren Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, die dur<strong>ch</strong> den Kreis<br />
angezeigt ist. Zusätzli<strong>ch</strong> zu <strong>der</strong> Grenze sind die Seiten über eine weitere Verbindung<br />
verknüpft: die Punkte <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Farbe auf beiden Seiten (wir werden im<br />
57