Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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Fragen wir:<br />
Wie ers<strong>ch</strong>afft ein Beoba<strong>ch</strong>ter eine Welt?<br />
Beoba<strong>ch</strong>tungen erster und zweiter Ordnung<br />
Wir unters<strong>ch</strong>eiden in und mit <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung zwis<strong>ch</strong>en dem Beoba<strong>ch</strong>¬teten (<strong>der</strong><br />
angezeigten Seite) und dem dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Beoba<strong>ch</strong>teten (<strong>der</strong> unangezeigten Seite). <strong>Die</strong> si<strong>ch</strong><br />
daraus ergebende Unsi<strong>ch</strong>tbarkeit <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung selbst, setzen wir mit dem<br />
unges<strong>ch</strong>riebenen cross glei<strong>ch</strong>. Das heißt, die momentane Beoba<strong>ch</strong>tung ist unsi<strong>ch</strong>tbar.<br />
Prinzipiell kann ein Beoba<strong>ch</strong>ter alles beoba<strong>ch</strong>ten, was er unters<strong>ch</strong>eiden kann,<br />
gegebenenfalls au<strong>ch</strong> seine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen (Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen). Ein<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter kann also beoba<strong>ch</strong>ten, wel<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen an<strong>der</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter (o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong><br />
er selbst) treffen. Nur die eine Beoba<strong>ch</strong>tung, die er gerade ma<strong>ch</strong>t, kann er ni<strong>ch</strong>t zuglei<strong>ch</strong><br />
au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>ten. Um die gerade verwendete Unters<strong>ch</strong>eidung beoba<strong>ch</strong>ten zu können,<br />
brau<strong>ch</strong>t er eine weitere Unters<strong>ch</strong>eidung, für die dann das glei<strong>ch</strong>e gilt. <strong>Die</strong>s wird in <strong>der</strong><br />
Systemtheorie als blin<strong>der</strong> Fleck bezei<strong>ch</strong>net. Wenn wir eine Unters<strong>ch</strong>ei¬dung operational<br />
verwenden, ist diese für uns unsi<strong>ch</strong>tbar; wir können nie zuglei<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung treffen<br />
und beoba<strong>ch</strong>ten. Um die Unters<strong>ch</strong>ei¬dung, die wir gerade bei <strong>der</strong> momentanen Beoba<strong>ch</strong>tung<br />
verwenden, beoba<strong>ch</strong>ten zu können, müssten wir zur glei<strong>ch</strong>en Zeit zwei vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Beoba<strong>ch</strong>tungen ausführen: Das Beoba<strong>ch</strong>tete und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tende sind aber im<br />
unters<strong>ch</strong>eidenden Beoba<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t zeitglei<strong>ch</strong> denkbar. Das heißt, dass das Treffen einer<br />
Unters<strong>ch</strong>eidung stets blind für si<strong>ch</strong> selbst ist. Der blinde Fleck ist die Unters<strong>ch</strong>eidung, die wir<br />
für die jetzt stattfindende Beoba<strong>ch</strong>tung treffen. Der blinde Fleck ist das, was man ni<strong>ch</strong>t sieht,<br />
wenn man sieht, was man sieht. Für George Spencer Brown spielt diese<br />
Unbeob¬a<strong>ch</strong>tbarkeit <strong>der</strong> gerade stattfindenden Beoba<strong>ch</strong>tung keine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Einen<br />
ähnli<strong>ch</strong>en Gedanken findet man bei ihm aber in dem Begriff <strong>der</strong> selektiven Blindheit. Im<br />
Zusammenhang des Konzeptes <strong>der</strong> selektiven Blindheit wird erörtert, inwiefern au<strong>ch</strong> gesagt<br />
werden kann, dass <strong>der</strong> blinde Fleck gerade das Sehen ermögli<strong>ch</strong>t – und ni<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>ränkt<br />
(siehe den entspre<strong>ch</strong>enden Abs<strong>ch</strong>nitt in III. 3.: S. 180f.).<br />
Mit dem Indikationenkalkül können gerade au<strong>ch</strong> diese vers<strong>ch</strong>iedenen Beoba<strong>ch</strong>tungsebenen<br />
ausgema<strong>ch</strong>t werden: Ein Beoba<strong>ch</strong>ter trifft eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, und sieht dabei nur eine<br />
<strong>der</strong> beiden dur<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung hervorgerufenen Seiten. Auf einer an<strong>der</strong>en Ebene<br />
kann ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter die vom ersten getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung von an<strong>der</strong>en<br />
Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen unters<strong>ch</strong>eiden. Der erste Beoba<strong>ch</strong>ter sieht eine Identität, wenn er eine<br />
Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, denn er bezieht si<strong>ch</strong> auf eine Seite <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung (für ihn die<br />
Einheit) und ni<strong>ch</strong>t die an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> die Unters<strong>ch</strong>ei-dung selbst; <strong>der</strong> zweite sieht darin eine<br />
Differenz (genauer: die Identität einer Differenz; o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Differenz eine Identität bzw.<br />
Einheit), indem er au<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e, die vom ersten Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t angezeigte Seite <strong>der</strong><br />
Unters<strong>ch</strong>eidung sehen kann. Eine Beoba<strong>ch</strong>tung zu beoba<strong>ch</strong>ten meint, die vom ersten<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung zu sehen; das heißt zu sehen, wie ein Beoba<strong>ch</strong>ter<br />
beoba<strong>ch</strong>tet. Ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter kann die Unters<strong>ch</strong>eidung des ersten von an<strong>der</strong>en<br />
Unters<strong>ch</strong>eidungen differenzieren. Ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter kann sehen, was <strong>der</strong> erste ni<strong>ch</strong>t<br />
sehen kann, aber au<strong>ch</strong> seine Operation erzeugt einen blinden Fleck.<br />
„Der S<strong>ch</strong>ritt von <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung erster zur Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung löst eine ganze<br />
Kaskade von Folgen aus. Nur eines errei<strong>ch</strong>t er ni<strong>ch</strong>t: die Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> ihn selbst<br />
eins<strong>ch</strong>ließenden Einheit, die Rückkehr in den unmarked space.“ (LUHMANN 1992: 127)<br />
Vom Standpunkt <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung, das meint, wenn beoba<strong>ch</strong>tet wird, wie<br />
(mit wel<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidungen) ein an<strong>der</strong>er Beoba<strong>ch</strong>ter beoba<strong>ch</strong>tet, sieht <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter,<br />
dass Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t sehen, was sie ni<strong>ch</strong>t sehen. Das s<strong>ch</strong>eint trivial, führt aber<br />
beispielsweise zu <strong>der</strong> weit weniger trivialen Einsi<strong>ch</strong>t, dass au<strong>ch</strong> die Beoba<strong>ch</strong>ter selbst zu<br />
dem gehören, was sie ni<strong>ch</strong>t sehen können. <strong>Die</strong> eigene Materialität des Beoba<strong>ch</strong>tens, das<br />
sehen, wie man selbst gerade sieht, entzieht si<strong>ch</strong> dem Beoba<strong>ch</strong>ter notwendig. Oben hatten<br />
wir entspre<strong>ch</strong>end formuliert, dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter für si<strong>ch</strong> selbst imaginär ist (siehe den<br />
„Exkurs in die System¬theorie von Niklas Luhmann“: S. 147ff.).<br />
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