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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Der Auslöser für die Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik besteht in <strong>der</strong> von Bertrand Russell<br />

entdeckten und na<strong>ch</strong> ihm benannten <strong>Paradoxie</strong>, die zu Beginn dieses Teils im Abs<strong>ch</strong>nitt zum<br />

mathematik-historis<strong>ch</strong>en Zusam¬menhang skizziert wurde. Im zweiten Kapitel wurde<br />

dargestellt, wel<strong>ch</strong>es Missverständnis dazu führte. Im vorliegenden Abs<strong>ch</strong>nitt wird die<br />

Russell¬s<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> detaillierter betra<strong>ch</strong>tet.<br />

Eine erste Ans<strong>ch</strong>auung dessen, was bisher und im Folgenden die „<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“<br />

genannt wird, gewinnen wir dur<strong>ch</strong> die Betra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> „normalen Menge“ R.<br />

In <strong>der</strong> Mengenlehre können „Dinge“ (zum Beispiel Objekte, Eigens<strong>ch</strong>aften o<strong>der</strong> Mengen)<br />

aufgrund ihrer Eigens<strong>ch</strong>aften zu Mengen zusammengefasst werden. Eine Menge enthält<br />

„Dinge“ – und s<strong>ch</strong>ließt an<strong>der</strong>e aus. Wenden wir dies auf sie selbst an, kann eine Menge<br />

entwe<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> selbst enthalten o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> selbst auss<strong>ch</strong>ließen. Si<strong>ch</strong> selbst auss<strong>ch</strong>ließende<br />

Mengen sind ganz normale Mengen – daher au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Name, den Bertrand Russell seiner<br />

berühmt gewordenen, paradoxen Menge gab. Beispiele für normale Mengen sind die Menge<br />

aller Vögel; die Menge aller Mens<strong>ch</strong>en, die Taja Luna kennen; o<strong>der</strong> die Menge aller Mengen,<br />

die Albert Einstein enthalten. „Normal“ meint hier, dass die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong><br />

Menge und den Elementen <strong>der</strong> Menge aufre<strong>ch</strong>t erhalten bleibt. Normale Mengen sind nie<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong> in dem Sinne, dass die Definition <strong>der</strong> Menge auf die Menge selbst<br />

angewendet werden kann. <strong>Die</strong>s unters<strong>ch</strong>eidet gewöhnli<strong>ch</strong>e, selbstaus¬s<strong>ch</strong>ließende Mengen<br />

von selbstenthaltenden Mengen. Sol<strong>ch</strong>e Mengen haben die merkwürdige Eigens<strong>ch</strong>aft, dass<br />

die Grenze zwis<strong>ch</strong>en Menge und Element vers<strong>ch</strong>wimmt. Eine selbstenthaltende Menge ist<br />

eine Menge und enthält si<strong>ch</strong> selbst, ist also au<strong>ch</strong> ihr eigenes Element. Beispielsweise sind<br />

die Menge aller Mengen o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> die Menge all <strong>der</strong>jenigen Mengen, die Albert Einstein<br />

ni<strong>ch</strong>t enthalten, selbstenthaltend. Eine weitere ist eben die na<strong>ch</strong> Bertrand Russell benannte<br />

Normale Menge R: Menge aller Mengen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten.<br />

Mit <strong>der</strong> Definition führen wir die eine Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Selbsteins<strong>ch</strong>luss<br />

und Selbstauss<strong>ch</strong>luss (nämli<strong>ch</strong> Selbstauss<strong>ch</strong>luss: Mengen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten) in<br />

die glei<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung wie<strong>der</strong> ein (und erhalten die Menge, die alle Mengen enthält, die<br />

si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t enthalten) und können nun fragen, auf wel<strong>ch</strong>er Seite dieser Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

si<strong>ch</strong> die <strong>der</strong>art konstruierte Menge R selbst befindet. Enthält die Menge aller Mengen, die<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten, si<strong>ch</strong> selbst?<br />

<strong>Die</strong> Strategie, eine Antwort auf diese Frage zu finden, besteht darin, zunä<strong>ch</strong>st die eine und<br />

später die an<strong>der</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit als zutreffend anzunehmen, und jeweils anhand <strong>der</strong> Definition<br />

von R zu überprüfen, was aus <strong>der</strong> Annahme folgt.<br />

Also angenommen, R sei selbstenthaltend. <strong>Die</strong> Menge R wurde dur<strong>ch</strong> den<br />

Zusammens<strong>ch</strong>luss aller <strong>der</strong> Mengen gebildet, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten, also normal<br />

sind. Wenn R si<strong>ch</strong> aber selbst enthält, enthält R (indem sie si<strong>ch</strong> selbst enthält) eine<br />

selbstenthaltende Menge. Das heißt, dass die Annahme, R enthalte si<strong>ch</strong> selbst, gegen die<br />

Definition von R verstößt, da R ja keine selbstenthaltenden Mengen enthält. Da es nur die<br />

beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten selbstenthaltend und selbstauss<strong>ch</strong>ließend gibt, führt die Annahme, R<br />

enthalte si<strong>ch</strong> selbst, zu dem S<strong>ch</strong>luss, dass R si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthält.<br />

Angenommen also, R enthalte si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t. Wenn R auf diese Weise eine<br />

selbstauss<strong>ch</strong>ließende Menge ist, dann muss sie laut Definition in R enthalten sein, denn R<br />

enthält ja gerade alle Mengen, die si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t enthalten. In diesem zweiten Fall führt die<br />

Annahme des Selbstaus¬s<strong>ch</strong>lusses auf Selbstbeinhaltung. In beiden Fällen führt die<br />

Annahme <strong>der</strong> einen Seite auf die an<strong>der</strong>e. Es kommt zu einer Oszillation zwis<strong>ch</strong>en den<br />

Seiten, Werten o<strong>der</strong> Zuständen, die <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> für <strong>Paradoxie</strong>n – in dem hier<br />

vorges<strong>ch</strong>lagenen Sinne – ist.<br />

Negation und Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit, die vers<strong>ch</strong>iedene Ebenen impliziert, sind die Merkmale,<br />

die zur <strong>Paradoxie</strong> und <strong>der</strong> für sie <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>en Oszillation zwis<strong>ch</strong>en zwei Seiten führen.<br />

Sie dienen uns als vorläufiger Leitfaden zur <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>. Mit Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

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