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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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und dass zwei Wesen mit vers<strong>ch</strong>iedenen Sinnesapparaten vers<strong>ch</strong>iedene Realitäten<br />

ers<strong>ch</strong>einen.<br />

In dem Vorwort zur Auflage von 1994 s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown:<br />

„Was existiert, ist formell konstruiert dur<strong>ch</strong> die Postulierung eines hypothetis<strong>ch</strong>en Wesens,<br />

von dem angenommen wird, es nehme es wahr, und unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Wesen werden die<br />

Konstruktion unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Existenzen hervorbringen.“ (SPENCER BROWN 1997: XVIII)<br />

Was existiert, tut dies auf die jeweils beoba<strong>ch</strong>tete Art und Weise; also ni<strong>ch</strong>t von si<strong>ch</strong> aus,<br />

son<strong>der</strong>n nur im „Blick“ eines Beoba<strong>ch</strong>ters, wel<strong>ch</strong>er eine Existenz auf seine Weise<br />

wahrnimmt. Da so das Existierende von dem unters<strong>ch</strong>eidenden Beoba<strong>ch</strong>ter abhängt – also<br />

keine objektive Wirkli<strong>ch</strong>keit repräsentiert –, nehmen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Existenzen wahr. Und das ni<strong>ch</strong>t nur hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Sinnesorgane,<br />

die ja mit dem entspre<strong>ch</strong>enden „Auss<strong>ch</strong>nitt <strong>der</strong> Realität“ korres¬pondieren könnten,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem au<strong>ch</strong> in Bezug auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Wertungen,<br />

Bedeutungszus<strong>ch</strong>reibungen bzw. Ausri<strong>ch</strong>tungen von Aufmerk¬samkeit. Wir können deshalb<br />

im Allgemeinen ni<strong>ch</strong>t davon spre<strong>ch</strong>en, dass die eine Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Welt wahrer als die<br />

an<strong>der</strong>e ist. <strong>Die</strong>s könnten wir ledigli<strong>ch</strong> im Hinblick auf bestimmte Voraussetzungen.<br />

Mit dem Begriff <strong>der</strong> Wahrheit wird auf eine Übereinstimmung <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit mit Aussagen<br />

über diese Wirkli<strong>ch</strong>keit rekurriert . Wahr ist eine Aussage, wenn die Wirkli<strong>ch</strong>keit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

so ist, wie es die Aussage behauptet. Somit untermauert dieser Begriff (in dieser Deutung)<br />

eine Unters<strong>ch</strong>eidung als gegeben: <strong>Die</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit und Aussagen über sie seien<br />

grundvers<strong>ch</strong>ieden.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Aussagen über Aussagen (statt: Aussagen über die Wirkli<strong>ch</strong>keit o<strong>der</strong><br />

Realität) können wir dagegen vorläufig formulieren: „Es gibt keine objektive Wahrheit!“ Wir<br />

geraten aber offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> in eine <strong>Paradoxie</strong>, wenn wir diese Aussage auf si<strong>ch</strong> selbst<br />

anwenden, indem wir sie auf ihre Wahrheit hin überprüfen. <strong>Die</strong> Aussage hat ja selbst die<br />

<strong>Form</strong> einer „objektiven Wahrheit“.<br />

Insofern, als wir Existenz und Wahrheit als Konstrukte und Resultate des Prozesses des<br />

Unters<strong>ch</strong>eidens erkennen können, nehmen wir ihnen ihre zentrale Stellung und erkennen sie<br />

als peripher (vgl. SPENCER BROWN 1997: 87f.; 1969: 101).<br />

„Wenn die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e heutiger Wissens<strong>ch</strong>aft darin liegt, dass sie um Existenz zentriert ist, ist<br />

die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e heutiger Logik, dass sie um Wahrheit zentriert ist.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

88)<br />

Das wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Universum, die objektive <strong>Form</strong>, die wir mit Teleskopen und<br />

Mikroskopen untersu<strong>ch</strong>en und entdecken, ist ni<strong>ch</strong>t die <strong>Form</strong>, die unsere individuellen<br />

Unters<strong>ch</strong>iede unters<strong>ch</strong>eidet. <strong>Die</strong> objektive <strong>Form</strong> ist die <strong>Form</strong>, in <strong>der</strong> wir unsere grundlegende<br />

Einheit erkennen können, unsere Vielheit kondensiert zu eins: ... = . Wir<br />

betra<strong>ch</strong>ten dabei den Teil, <strong>der</strong> identis<strong>ch</strong> für uns alle ist; daher rührt seine Objektivität, die nur<br />

aufgrund des glei<strong>ch</strong>en Sinnesapparates diesen Ans<strong>ch</strong>ein erweckt.<br />

<strong>Die</strong> Sinnesorgane bestimmen die Welt, die wahrgenommen werden kann. Wie könnte ein<br />

Lebewesen mit an<strong>der</strong>en Sinnesorganen die glei<strong>ch</strong>e Realität erleben? Das Universum<br />

ers<strong>ch</strong>eint in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Sinne, denen es ers<strong>ch</strong>eint. Verän<strong>der</strong>t man<br />

die Sinne, ers<strong>ch</strong>eint ein an<strong>der</strong>es Universum. Wie könnte also ein Universum unabhängig<br />

vom Sinnesapparat (und letztli<strong>ch</strong> vom Beoba<strong>ch</strong>ter) sein? So ein Universum kann es ni<strong>ch</strong>t<br />

geben, weil es in Übereinstimmung mit den wahrnehmenden Sinnen ers<strong>ch</strong>eint. <strong>Die</strong>ser<br />

Argumentation zufolge kann es kein objektives Universum geben.<br />

Zuglei<strong>ch</strong> ist <strong>der</strong> Sinnesapparat au<strong>ch</strong> eine Eins<strong>ch</strong>ränkung, denn um über¬haupt etwas<br />

wahrzunehmen, kann man ni<strong>ch</strong>t alles wahrnehmen (siehe den Abs<strong>ch</strong>nitt „Selektive Blindheit,<br />

S. 180f.).<br />

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