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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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s<strong>ch</strong>on ein Stück weiter, usw. Das s<strong>ch</strong>eint zumindest wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, wenn ni<strong>ch</strong>t gar paradox<br />

zu sein, da je<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Erfahrung weiß, dass A<strong>ch</strong>illes die S<strong>ch</strong>ildkröte na<strong>ch</strong> einiger Zeit<br />

einholen wird. Da die in dem Gedankenexperiment vorkommenden Zeitintervalle jedo<strong>ch</strong> sehr<br />

s<strong>ch</strong>nell sehr klein werden, sieht man den Gedan¬kenfehler. In <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Differentialre<strong>ch</strong>nung<br />

hat die Mathematik dieses Problem gelöst.<br />

<strong>Die</strong> Zwillingsparadoxie stammt aus <strong>der</strong> Überlegung, dass Zwillinge unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> alt wären,<br />

na<strong>ch</strong>dem einer von ihnen eine Reise mit sehr hoher, relativistis<strong>ch</strong> relevanter Ges<strong>ch</strong>windigkeit<br />

in einem Raums<strong>ch</strong>iff unternommen hätte. <strong>Die</strong> Relativitätstheorie bes<strong>ch</strong>reibt und erklärt aber<br />

gerade, dass sol<strong>ch</strong>e Effekte wie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> laufende Uhren auftreten, weshalb das<br />

Phänomen von unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> alten und zur glei<strong>ch</strong>en Zeit geborenen Zwillingen ni<strong>ch</strong>t als<br />

<strong>Paradoxie</strong> bezei<strong>ch</strong>net werden sollte. Im Übrigen wäre es au<strong>ch</strong> keine <strong>Paradoxie</strong>, wenn<br />

umgekehrt gelten würde, dass sie gewissermaßen trotz <strong>der</strong> Relativitätstheorie glei<strong>ch</strong> alt<br />

blieben. In beiden Fällen ist ni<strong>ch</strong>t zu erkennen, wie eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung in die<br />

selbe Unters<strong>ch</strong>eidung eingeführt würde, ges<strong>ch</strong>weige denn, wie die <strong>ch</strong>arak¬teristis<strong>ch</strong>e<br />

Oszillation auftritt.<br />

Das Paradoxe je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

Für jede Unters<strong>ch</strong>eidung gilt, dass sie eine Einheit trennt, so dass zwei Seiten<br />

entstehen. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung produziert immer eine Zweiheit, eine Zwei-Seiten-<br />

<strong>Form</strong>. Und die Zweiheit verdeckt die Einheit, die ihr zu Grunde liegt. Beide Seiten sind<br />

„anwesend“, jedo<strong>ch</strong> nur na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> aktualisierbar.<br />

Wir können mit Niklas Luhmann au<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> „<strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> <strong>Form</strong>“ spre<strong>ch</strong>en (siehe den<br />

glei<strong>ch</strong>namigen Aufsatz in BAECKER 1993a), um zu bezei<strong>ch</strong>nen, dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

und damit jede Beoba<strong>ch</strong>tung auf einer <strong>Paradoxie</strong> gegründet ist (LUHMANN 1993: 198).<br />

„Beoba<strong>ch</strong>ten ist eine paradoxe Operation. Sie aktualisiert eine Zweiheit als Einheit, in<br />

einem Zuge sozusagen. Und sie beruht auf <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

und Bezei<strong>ch</strong>nung, aktualisiert also eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong><br />

vorkommt.“ (LUHMANN 1994: 95)<br />

Das, was unters<strong>ch</strong>ieden wird, ist vers<strong>ch</strong>ieden von <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Deshalb muss die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige in die Unters<strong>ch</strong>eidung hineinkopiert<br />

werden (LUHMANN 1993: 200). Und dann kann ni<strong>ch</strong>t mehr ents<strong>ch</strong>ieden werden, ob die<br />

kopierte Unters<strong>ch</strong>eidung die selbe o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung ist als die, in die<br />

sie kopiert wird. <strong>Die</strong> wie<strong>der</strong>eintretende Unters<strong>ch</strong>eidung ist die selbe und eine an<strong>der</strong>e<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Deshalb ist gerade au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> erste Satz <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ein Beispiel<br />

eines re-entries: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige werden unters<strong>ch</strong>ieden und angezeigt<br />

(vgl. KAUFFMAN 1987: 58).<br />

Jede Unters<strong>ch</strong>eidung führt die <strong>Paradoxie</strong> von Einheit und Differenz mit si<strong>ch</strong>. Insofern<br />

verweist die <strong>Paradoxie</strong> auf den „Anfang von Himmel und Erde“, auf das Ungeteilte, auf<br />

die All-Einheit. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> ist so das Tor zum unmarked space, <strong>der</strong><br />

grundsätzli<strong>ch</strong> unbes<strong>ch</strong>reibbar und unerkennbar ist. Hierin liegt verborgen, dass die<br />

<strong>Paradoxie</strong> im Anfang von allem steckt, Grundlage je<strong>der</strong> Existenz ist.<br />

Allgemeine Charakteristika <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

In den Laws of <strong>Form</strong> wurde <strong>Form</strong> als <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung, als Zwei-Seiten-mit-einer-<br />

Grenze-<strong>Form</strong> bestimmt. Ebenso können wir nun von <strong>der</strong> „<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“ spre<strong>ch</strong>en.<br />

Gemeint ist damit das allen <strong>Paradoxie</strong>n Gemeinsame, eben ihre <strong>Form</strong>. <strong>Die</strong> angeführten<br />

Beispiele erlei<strong>ch</strong>tern, sie zu erkennen und zu bes<strong>ch</strong>reiben, wennglei<strong>ch</strong> ihre Allgemeinheit im<br />

11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> dur<strong>ch</strong> die Einführung des markers am deut¬li<strong>ch</strong>sten wird. <strong>Die</strong><br />

imaginäre Einheit <strong>der</strong> komplexen Zahlen stellt ni<strong>ch</strong>t nur das prägnanteste Beispiel dar,<br />

son<strong>der</strong>n ist für die Mathematik am s<strong>ch</strong>werwiegendsten.<br />

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