Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch
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„Existenz ist eine selektive Blindheit.“ (SPENCER BROWN 1997: 191)<br />
Wona<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st klargestellt wird, dass <strong>der</strong> Begriff „Blindheit“ ni<strong>ch</strong>t als einges<strong>ch</strong>ränkt auf<br />
Sehfähigkeit bzw. -unfähigkeit gemeint ist. „Blindheit“ steht paradigmatis<strong>ch</strong> für jeden Sinn.<br />
Dass Existieren immer selektiv blind ist, meint, dass ein Erkennen immer ein Ni<strong>ch</strong>t-erkennen<br />
mitproduziert.<br />
„Wir bemerken eine Seite einer Ding-Grenze um den Preis, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite weniger<br />
Aufmerksamkeit zu widmen.“ (SPENCER BROWN 1997: 191)<br />
Würden wir beide Seiten glei<strong>ch</strong>ermaßen berücksi<strong>ch</strong>tigen (können), würden wir ihnen keinen<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wert zuordnen und die Unters<strong>ch</strong>eidung würde vers<strong>ch</strong>winden, denn mit ihr<br />
würde ja ni<strong>ch</strong>ts mehr unters<strong>ch</strong>ieden. Und umgekehrt hatten wir ja als den Ideen <strong>der</strong><br />
Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige implizit festgestellt:<br />
„Jede Unters<strong>ch</strong>eidung verteilt Aufmerksamkeit asymmetris<strong>ch</strong>.“ (FUCHS 2000: 70)<br />
Solange die Unters<strong>ch</strong>eidung aufre<strong>ch</strong>t erhalten wird, indem den Seiten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />
Werte zugeordnet werden, infolge <strong>der</strong>er sie unters<strong>ch</strong>ied¬li<strong>ch</strong> aufmerksam behandelt werden,<br />
solange ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter blind für die unbeoba<strong>ch</strong>tete Seite und für an<strong>der</strong>e<br />
Unters<strong>ch</strong>eidungen. Und ni<strong>ch</strong>t nur das – er könnte es ja immerhin na<strong>ch</strong>holen –, er ist vor<br />
allem blind dafür, dass er die Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, die er trifft.<br />
Dabei hat <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter keinen „Defekt“, weil er mit je<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t Blindheit s<strong>ch</strong>afft, son<strong>der</strong>n<br />
die Blindheit ist seine Te<strong>ch</strong>nik, die Si<strong>ch</strong>t erst ermögli<strong>ch</strong>t. Er ist ni<strong>ch</strong>t blind im Sinne einer<br />
Behin<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n vielmehr ein „Blindseher“. Um etwas zu sehen, muss <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter<br />
ni<strong>ch</strong>t nur alles an<strong>der</strong>e unberücksi<strong>ch</strong>tigt lassen; er kann prinzipiell ni<strong>ch</strong>t sehen, wie er es<br />
ma<strong>ch</strong>t, dass er sieht, was er sieht.<br />
Vor dem Hintergrund des Konzeptes <strong>der</strong> selektiven Blindheit meint „Existenz“, dass ein<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter existiert, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> seine Beoba<strong>ch</strong>tung „Existenz“ hervorbringt. Nur ein<br />
Beoba<strong>ch</strong>ter kann überhaupt selektiv blind sein. Und sobald ein Beoba<strong>ch</strong>ter existiert, also<br />
beoba<strong>ch</strong>tet, existiert die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem. <strong>Die</strong>se<br />
Unter¬s<strong>ch</strong>eidung ist dann „in Gebrau<strong>ch</strong>“ und ko-produziert das Ni<strong>ch</strong>t-erkennen, das heißt,<br />
dass und wie sie in Gebrau<strong>ch</strong> ist. Sie vers<strong>ch</strong>ließt die Mögli<strong>ch</strong>keit, die Einheit <strong>der</strong> Seiten zu<br />
sehen; zu erleben, dass Seher und Gesehenes keinen Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>en.<br />
Eine Existenz bringt immer ein Universum zum Vors<strong>ch</strong>ein. Entspre¬<strong>ch</strong>end lautet die<br />
Definition von Universum bei George Spencer Brown:<br />
„... das, was als Resultat eines Vollzuges einer Wendung gesehen wird, und somit die<br />
Ers<strong>ch</strong>einung einer jeden ersten Unters<strong>ch</strong>eidung ist und bloß ein kleiner Aspekt alles<br />
ers<strong>ch</strong>einenden und ni<strong>ch</strong>t-ers<strong>ch</strong>einenden Seins. Seine Partikularität ist <strong>der</strong> Preis, den wir für<br />
seine Si<strong>ch</strong>tbarkeit bezahlen.“ (SPENCER BROWN 1997: 92 (Fußnote))<br />
Ein Universum ist Resultat <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit, dass ein Zustand einen unter¬s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wert<br />
als ein an<strong>der</strong>er Zustand hat. Das genau ist <strong>der</strong> Eintritt des Kalküls. Und insofern sind die<br />
Laws of <strong>Form</strong> ein Vehikel zu <strong>der</strong> Erkennt¬nis, wie ein Universum ins Dasein gelangt (und<br />
wer wir selbst sind, die wir zum Beispiel ein Universum <strong>der</strong>art betra<strong>ch</strong>ten).<br />
Das Dao und <strong>der</strong> empty space<br />
<strong>Die</strong>ser Abs<strong>ch</strong>nitt stellt den Daoismus, wie er von Lao-Zi im Dao De Jing dargestellt wird, in<br />
einen Zusammenhang mit den Laws of <strong>Form</strong>. Dabei geht es hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> um einen<br />
Verglei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriffe „Dao“ und „empty space“ sowie im folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt um eine<br />
Gegenüberstellung des Prinzips von Yin-Yang und dem re-entry bzw. dem Bild des Tunnels.<br />
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