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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Aufmerksamkeit auf die Bedingungen und Vorannahmen, unter denen jemand etwas (als<br />

wahr) erkennen kann. Insofern wird mit <strong>der</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung au<strong>ch</strong><br />

herausgestellt, was wir unter <strong>der</strong> „<strong>Form</strong> von Gesetzen“ verstehen können.<br />

<strong>Die</strong>ser Vorgehensweise, bestimmte Konstruktionen, Benennungen und Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

vorzus<strong>ch</strong>lagen und dann zu betra<strong>ch</strong>ten, was man erhält, und wel<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

vorliegen, bedient si<strong>ch</strong> George Spencer Brown für die Darstellung seines<br />

Indikationenkalküls. Wir können dies als Lenkung von Aufmerksamkeit verstehen und<br />

bemerken die Ähnli<strong>ch</strong>keit zur sokra¬tis<strong>ch</strong>en Methode <strong>der</strong> vermittelnden Gesprä<strong>ch</strong>sführung.<br />

<strong>Die</strong> didaktis<strong>ch</strong>e bzw. methodis<strong>ch</strong>e Vorgehensweise von George Spencer Brown in den Laws<br />

of <strong>Form</strong> basiert demna<strong>ch</strong> auf einem grundlegenden Wissen:<br />

„Überhaupt ni<strong>ch</strong>ts kann dur<strong>ch</strong> Erzählen gewusst werden.“ (SPENCER BROWN 1997: XII)<br />

Was man erzählt bekommt, kann man glauben o<strong>der</strong> lernen, aber ni<strong>ch</strong>t wissen. Wissen<br />

erlangt man allein dur<strong>ch</strong> eigene Erfahrung. Ohne Erfahrung ist „Wissen“ abstrakt und leer –<br />

und mithin kein Wissen, son<strong>der</strong>n eben Glaube o<strong>der</strong> Meinung. <strong>Die</strong>sen Erfahrungshorizont des<br />

Wissens kann <strong>der</strong> Lehrende nur dur<strong>ch</strong> die Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung öffnen. Auf<br />

diese Weise wird <strong>der</strong> Lernende angeleitet, selbst zu entdecken, was es ist, das er weiß – er<br />

wusste vorher ledigli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wie und wohin zu s<strong>ch</strong>auen.<br />

In diesen Zusammenhang fällt, dass George Spencer Brown auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Rhetorik den<br />

Imperativ verwendet. Damit stellt er unentwegt heraus, dass es die Lesenden selbst sind, die<br />

die Unters<strong>ch</strong>eidungen treffen, und ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Autor, <strong>der</strong> ledigli<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für zu treffende<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen ma<strong>ch</strong>t. Da es au<strong>ch</strong> eines seiner inhaltli<strong>ch</strong>en Anliegen ist zu zeigen, dass<br />

wir selbst es sind, die unsere Welt dur<strong>ch</strong> die Beoba<strong>ch</strong>tung erzeugen, ist die Verwendung des<br />

Imperativs (als Auffor<strong>der</strong>ung) Ausdruck seines Verständnisses von Welt. Er vertritt und<br />

betreibt diese These, indem er die Lesenden, die Beoba<strong>ch</strong>ter seines Kalküls, anleitet, si<strong>ch</strong><br />

selbst als die S<strong>ch</strong>öpfer <strong>der</strong> <strong>Form</strong> zu erkennen. Aus <strong>der</strong> dem Kalkül inhärenten Absage an<br />

wahrheitsfähige Sa<strong>ch</strong>verhalte im herkömmli<strong>ch</strong>en Sinne ergibt si<strong>ch</strong> die Darstellung und<br />

Dur<strong>ch</strong>führung des Kalküls vermittels <strong>der</strong> <strong>Form</strong> des Imperativs.<br />

George Spencer Brown wendet si<strong>ch</strong> also gegen eine Methode zum Wissenserwerb, die<br />

Gesetze und Definitionen so verwendet, als vermittel¬ten diese etwas objektiv Wahres.<br />

Hinter dieser Vorgehensweise sieht er die irrige Doktrin, dass jemand etwas wissen könne,<br />

indem man es ihm bloß erzählt. Stattdessen ist sein Vors<strong>ch</strong>lag, gerade au<strong>ch</strong> Gesetze und<br />

Defini¬tionen ni<strong>ch</strong>t als Bes<strong>ch</strong>reibungen, son<strong>der</strong>n als Befehle o<strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ungen zu<br />

begreifen. Sie sind die Regeln von „Lasst uns so tun, als ob“-Spielen. Wenn wir also eine<br />

Definition gebrau<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> ein Gesetz befolgen, meint George Spencer Brown, tun wir<br />

ni<strong>ch</strong>ts, als diese zu gebrau<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> zu befolgen; sie repräsentieren keine objektive und<br />

allgemeingültige Wahrheit. Aus diesem Grunde können wir ni<strong>ch</strong>t von fals<strong>ch</strong>en Definitionen<br />

spre<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong> Definition <strong>der</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung könnte lauten: Nenne dies<br />

so-und-so, tue jenes und s<strong>ch</strong>aue, was es ist, das du erhältst.<br />

Als Beispiel für seine methodis<strong>ch</strong>e Vorgehensweise und dafür, wie man zu Wissen statt zu<br />

Glauben kommt, führt er einen (altbekannten) Beweis für die Unendli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Primzahlen<br />

an, in dem er das Augenmerk auf die anweisende Lehrform lenkt. Ausgangspunkt ist<br />

folgen<strong>der</strong>: I<strong>ch</strong> habe jetzt zwar ges<strong>ch</strong>rieben – und Sie haben es vermutli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>norts au<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on gehört –, dass es unendli<strong>ch</strong> viele Primzahlen gibt, nur: damit wissen Sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

dass das tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Fall ist. Sie können es mir o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nur glauben – bis Sie es<br />

wissen. Und wenn Sie es wissen, können und brau<strong>ch</strong>en Sie es ni<strong>ch</strong>t mehr zu glauben. Um<br />

etwas zu wissen, muss man es „tiefer“ erfahren haben – das hängt mit eigener Tätigkeit<br />

zusammen – als es das bloße Hören o<strong>der</strong> Lesen bewirken kann. In diesem Fall muss man<br />

selber na<strong>ch</strong>- o<strong>der</strong> mitgeda<strong>ch</strong>t haben.<br />

Wir bringen den Beweis, <strong>der</strong> auf Euklid zurückgeht, ni<strong>ch</strong>t aufgrund seiner Originalität,<br />

son<strong>der</strong>n weil er si<strong>ch</strong> wegen seiner Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>keit und eleganten Einfa<strong>ch</strong>heit gerade für<br />

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