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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Der berühmteste Anwen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Verwen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ist <strong>der</strong> Systemtheoretiker<br />

Niklas Luhmann. Er zieht die „Differenzlogik“ von George Spencer Brown für seine<br />

Systemtheorie heran, indem er einige wesentli<strong>ch</strong>e Ideen und Erkenntnisse gebrau<strong>ch</strong>t. Dabei<br />

bezieht si<strong>ch</strong> Niklas Luhmann jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die streng mathematis<strong>ch</strong>en Inhalte. Er betreibt<br />

we<strong>der</strong> Mathematik no<strong>ch</strong> Logik. Einerseits sind die Laws of <strong>Form</strong>, als Differenzlogik, zentral<br />

für die Gesamtkonzeption <strong>der</strong> Systemtheorie, an<strong>der</strong>erseits liegen au<strong>ch</strong> die<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Implikationen von Niklas Luhmann und George Spencer Brown auf<br />

einer Linie.<br />

Aufgrund dieser bedeutenden Rezension ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> das vorliegende Bu<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />

Hauptsa<strong>ch</strong>e an Leser und Leserinnen, die si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> System¬theorie bes<strong>ch</strong>äftigen und<br />

genauer wissen wollen, was in den Laws of <strong>Form</strong> aufgezeigt wird, was damit implizit gemeint<br />

ist und warum dieses Bu<strong>ch</strong> Niklas Luhmann so faszinierte. Zudem dürfte diese Einführung<br />

für Mathe¬matiker von Interesse sein, die si<strong>ch</strong> mit den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik befassen<br />

und bereit sind, darüber zu reflektieren, ob es tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> notwendig ist, eine logis<strong>ch</strong>e<br />

Grundlage für Mathematik anzunehmen. Weiterhin werden in diesem Text die vagen und<br />

raren buddhistis<strong>ch</strong>en und daoistis<strong>ch</strong>en Andeutungen von George Spencer Brown<br />

aufgegriffen und ausgeführt, weshalb au<strong>ch</strong> an fernöstli<strong>ch</strong>en Philosophien Interessierte bei<br />

<strong>der</strong> Lektüre auf ihre Kosten kommen sollten.<br />

Da Beoba<strong>ch</strong>tung in dem hier darzustellenden Theoriezusammenhang auf <strong>der</strong> Operation des<br />

Unters<strong>ch</strong>eidens basiert, liegt<br />

„die am tiefsten eingreifende, für das Verständnis des Folgenden unentbehrli<strong>ch</strong>e Umstellung<br />

darin, dass ni<strong>ch</strong>t mehr von Objekten die Rede ist, son<strong>der</strong>n von Unters<strong>ch</strong>eidungen.“<br />

(LUHMANN 1997: 60)<br />

Dabei werden Unters<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t als Unters<strong>ch</strong>iede im Sinne von vorhandenen<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalten begriffen, son<strong>der</strong>n als Auffor<strong>der</strong>ungen, sie zu treffen, weil wir an<strong>der</strong>nfalls<br />

ni<strong>ch</strong>ts anzeigen könnten, also ni<strong>ch</strong>ts zu beoba<strong>ch</strong>ten hätten. Im Vor<strong>der</strong>grund des Begriffes<br />

<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung steht ni<strong>ch</strong>t dessen Sortierleistung, son<strong>der</strong>n seine Konstruktionsleistung:<br />

jede Unters<strong>ch</strong>eidung ist deshalb erkennbar, weil sie von jemandem (einem Beoba<strong>ch</strong>ter)<br />

getroffen wird, und ni<strong>ch</strong>t, weil die Welt sie bereitstellt. <strong>Die</strong> Welt enthält keine Unters<strong>ch</strong>iede.<br />

Sowohl für Luhmann als au<strong>ch</strong> für Spencer Brown gilt also, dass die Radikalität ihrer Theorien<br />

darin begründet liegt, dass sie von Differenz statt von Einheit ausgehen – das heißt mit<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen beginnen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter trifft, und ni<strong>ch</strong>t etwa mit einer Substanz o<strong>der</strong><br />

Wesensannahmen o<strong>der</strong> einem feststehenden Prinzip. Für beide ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> die Welt über<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen statt über Dinge o<strong>der</strong> über vorhandene, grundlegende Ideen, die a priori<br />

gegeben wären.<br />

Von Objekten o<strong>der</strong> Gegenständen werden wir deshalb ni<strong>ch</strong>t mehr spre<strong>ch</strong>en, weil wir im<br />

Ans<strong>ch</strong>luss an den Kalkül von George Spencer Brown festhalten können, dass unser Erleben<br />

sol<strong>ch</strong>er Objekte ein Ergebnis des Unters<strong>ch</strong>eidens ist. Beispielsweise ist damit „Materie“ nur<br />

eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung, <strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e (zum Beispiel „Geist“ o<strong>der</strong> „<strong>Form</strong>“) erst mitfestlegt,<br />

was mit „Materie“ gemeint ist, wenn jemand von „Materie“ spri<strong>ch</strong>t. Mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten: Das, was als Ausgangspunkt genommen wird, um Aussagen über Erkenntnis zu<br />

ma<strong>ch</strong>en, wird ni<strong>ch</strong>t mehr aufgefasst als eine zu entdeckende Wirkli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n liegt in<br />

dem Prozess (und <strong>der</strong> Faktizität) des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Aber au<strong>ch</strong> wenn man an<strong>der</strong>en mo<strong>der</strong>nen Theorien (etwa <strong>der</strong> Relativi¬tätstheorie und <strong>der</strong><br />

Quantenme<strong>ch</strong>anik in <strong>der</strong> Physik o<strong>der</strong> <strong>der</strong> neuro¬logis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung in <strong>der</strong> Biologie) folgt,<br />

kann man seit einigen Jahrzehnten wissen, dass man für ein angemessenes Verständnis<br />

unserer Welt zweierlei berücksi<strong>ch</strong>tigen muss: ni<strong>ch</strong>t nur die Wirkli<strong>ch</strong>keit, wie sie ers<strong>ch</strong>eint,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> den Beoba<strong>ch</strong>ter, dem sie ers<strong>ch</strong>eint. Aus <strong>der</strong> Perspektive des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

kann man dann formulieren, ni<strong>ch</strong>t nur die äußere materielle Wirkli<strong>ch</strong>keit zu untersu<strong>ch</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> die innere, die Welt <strong>der</strong> Motive, Wertungen, Urteile o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> dessen, was wir<br />

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