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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Für den Versu<strong>ch</strong>, dieses Zitat zu kommentieren, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st vergegenwärtigen,<br />

wovon i<strong>ch</strong> annehme, dass es je<strong>der</strong> und jedem als unmittelbar evident ers<strong>ch</strong>eint. Wir denken<br />

viellei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t oft daran, aber es ist selbstverständli<strong>ch</strong>, dass wir immer in <strong>der</strong> Gegenwart sind<br />

und dass wir uns als getrennt von an<strong>der</strong>em erleben. Wir können uns sehr verbunden mit<br />

An<strong>der</strong>en und An<strong>der</strong>em fühlen, aber wir sind wir und alles an<strong>der</strong>e ist das An<strong>der</strong>e. Wir<br />

haben unseren Körper, unsere Gefühle und unsere Gedanken. Von dem Äußeren getrennt<br />

sind wir insofern, als wir es wahrnehmen und erleben. Das Etwas-jetzt-wahrnehmen zieht die<br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em. Das betrifft sowohl die materielle (und meinetwegen<br />

au<strong>ch</strong> spirituelle o<strong>der</strong> energetis<strong>ch</strong>e) äußere Wirkli<strong>ch</strong>keit als au<strong>ch</strong> uns selbst, insofern wir uns<br />

selbst wahrnehmen. Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>te, das heißt auf meinen Körper, meine<br />

Gefühle und Gedanken aufmerksam bin, sind sie ni<strong>ch</strong>t i<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> sie ja wahrnimmt. I<strong>ch</strong><br />

kann mi<strong>ch</strong> mit ihnen identi¬fizieren, i<strong>ch</strong> kann denken, i<strong>ch</strong> sei mein Körper, meine Gefühle<br />

und o<strong>der</strong> meine Gedanken; aber unter <strong>der</strong> begriffli<strong>ch</strong>en Voraussetzung, dass mit i<strong>ch</strong><br />

immer die gegenwärtige Aktivität gemeint ist, ist klar, dass i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mein Körper, meine<br />

Gedanken und o<strong>der</strong> meine Gefühle sein kann. Sie alle sind denno<strong>ch</strong> notwendig, um zu sein,<br />

um jemand zu sein und um si<strong>ch</strong> selbst zu erkennen. Als voraussetzungslos und evident<br />

gesetzt wird hier also <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em, Beoba<strong>ch</strong>ter und<br />

Beoba<strong>ch</strong>tetem. <strong>Die</strong>se Unters<strong>ch</strong>eidung wird ni<strong>ch</strong>t etwa deshalb als Start¬punkt genommen,<br />

weil es so ist, son<strong>der</strong>n weil anzunehmen ist, dass voraus-gesetzt werden kann, dass sie bei<br />

den Lesern und Leserinnen bekannt ist.<br />

Unter i<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> dem Selbst bzw. dem Beoba<strong>ch</strong>ter verstehen wir also das, was unentwegt<br />

gegenwärtig und anwesend ist. Was immer i<strong>ch</strong> sage, tue o<strong>der</strong> empfinde, es ges<strong>ch</strong>ieht jetzt.<br />

An wel<strong>ch</strong>en Ort, in wel<strong>ch</strong>e Zeit o<strong>der</strong> in wel<strong>ch</strong>en Zustand i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> immer denke, i<strong>ch</strong><br />

denke jetzt. Und wie gesagt, man muss ni<strong>ch</strong>t (permanent) daran denken, um zu wissen,<br />

dass es so ist, dass wir in o<strong>der</strong> mit dieser Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em<br />

leben.<br />

Körper und Geist sind die Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung, die mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> wahrgenommenen Welt und <strong>der</strong> wahrneh¬menden Welt illustriert werden kann. Deshalb<br />

kann diese Unters<strong>ch</strong>eidung erst mit <strong>der</strong> Fähigkeit zu Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung getroffen werden.<br />

Sie unterteilt den Beoba<strong>ch</strong>ter. Dur<strong>ch</strong> diese Unters<strong>ch</strong>eidung können wir „<strong>Form</strong> und Klang <strong>der</strong><br />

Dinge verstehen“, wel<strong>ch</strong>e wir als Symbol für die uns wahrnehmbare Wirkli<strong>ch</strong>keit auffassen<br />

können.<br />

Da Beoba<strong>ch</strong>tung notwendig sowohl das Beoba<strong>ch</strong>tete als au<strong>ch</strong> das Beoba<strong>ch</strong>tende<br />

voraussetzt, können wir Körper und Geist – wie Wahrge¬nommenes und Wahrnehmendes –<br />

ni<strong>ch</strong>t getrennt entdecken. „Sie wirken zusammen als eins.“ Sie sind die Seiten einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Und dabei ist keines von beiden dem an<strong>der</strong>en vorgängig, wie das<br />

verworfenene Spiegel-Beispiele aus dem Zitat verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t. Sie existieren nur<br />

zusammen.<br />

Wenn wir den „Buddha-Weg“ als das Transzendieren aller Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen begreifen,<br />

und das heißt, das bedingte Entstehen vollständig zu erfassen, dann bedeutet<br />

Selbsterfahrung, seine Aufmerksamkeit ni<strong>ch</strong>t mehr nur auf eine Seite <strong>der</strong> Körper-Geist- und<br />

<strong>der</strong> Selbst-An<strong>der</strong>es-Unters<strong>ch</strong>ei¬dung zu ri<strong>ch</strong>ten. Damit bezieht si<strong>ch</strong> das Si<strong>ch</strong>-Selbst-<br />

Vergessen auf den Verlust des Si<strong>ch</strong>-von-an<strong>der</strong>em-getrennt-Fühlens. Denn alles geht aus<br />

dem Einen hervor, und ni<strong>ch</strong>ts ist getrennt von an<strong>der</strong>em. Das führt zu <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> selbst<br />

in allen Dingen wahrnehmen zu können.<br />

So findet man au<strong>ch</strong> beispielsweise bei dem französis<strong>ch</strong>en Zen-Meister Stéphane Thibaut:<br />

„Um Buddha zu entdecken, brau<strong>ch</strong>t man nur sein Ego zu beoba<strong>ch</strong>ten.“ (THIBAUT 1999:<br />

129)<br />

<strong>Die</strong> erstaunli<strong>ch</strong>e Wendung in dem Anfangszitat von Dogen Zenji liegt in <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, dass<br />

wir uns selbst erkennen, wenn wir uns ni<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t beoba<strong>ch</strong>ten. Mit <strong>der</strong> Terminologie,<br />

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