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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Auffor<strong>der</strong>ungen wie<br />

„Glaube niemandem!“ o<strong>der</strong> „Folge keiner Auffor<strong>der</strong>ung!“<br />

Würde <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Angespro<strong>ch</strong>ene die Auffor<strong>der</strong>ung konsequent ernst nehmen, befände er<br />

o<strong>der</strong> sie si<strong>ch</strong> in dem Dilemma, wie er o<strong>der</strong> sie denn dann mit dieser Auffor<strong>der</strong>ung selbst<br />

umgehen soll. Abgesehen davon, dass sol<strong>ch</strong>e Aussagen wohl meistens ni<strong>ch</strong>t<br />

selbstreferenziell behandelt werden, also ganz unproblematis<strong>ch</strong> verstanden werden können,<br />

kommt es aber in diesen Fällen ni<strong>ch</strong>t zur Oszillation, weil daraus, dass jemand eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Auffor<strong>der</strong>ung ablehnt, ni<strong>ch</strong>t zwingend folgt, an<strong>der</strong>e Auffor<strong>der</strong>ungen zu akzeptieren.<br />

Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die <strong>Paradoxie</strong> vom Barbier: Der Barbier bekommt den<br />

Auftrag, allen (genau denen) die Haare zu s<strong>ch</strong>neiden, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst die Haare<br />

s<strong>ch</strong>neiden. <strong>Die</strong>ser harmlos anmutenden Auffor<strong>der</strong>ung kann <strong>der</strong> Barbier ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>kommen.<br />

Bei allen an<strong>der</strong>en liegt <strong>der</strong> Fall klar, denn entwe<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>neidet si<strong>ch</strong> jemand die Haare selbst<br />

o<strong>der</strong> eben ni<strong>ch</strong>t. Wie aber verhält es si<strong>ch</strong> mit dem Barbier selbst? Wenn er si<strong>ch</strong> die Haare<br />

ni<strong>ch</strong>t selbst s<strong>ch</strong>neidet, so soll es <strong>der</strong> Barbier tun; wenn er es aber selbst tut, soll er es ni<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit kann au<strong>ch</strong> als Bes<strong>ch</strong>reibung auftreten. Davon ma<strong>ch</strong>t die<br />

Grellings<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> Gebrau<strong>ch</strong>. Ein Eigens<strong>ch</strong>aftswort wird autolog genannt, wenn ihm die<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft zukommt, die es bezei<strong>ch</strong>net (zum Beispiel: „selbstbes<strong>ch</strong>reibend“), ansonsten<br />

heißt es heterolog. In diesem Sinne ist zum Beispiel „deuts<strong>ch</strong>“ autolog, da es ein deuts<strong>ch</strong>es<br />

Wort ist, „französis<strong>ch</strong>“ ist jedo<strong>ch</strong> heterolog. <strong>Die</strong> Frage, was denn „heterolog“ selbst sei, bringt<br />

eine <strong>Paradoxie</strong> hervor: Wäre „heterolog“ selbst heterolog, dann hat es die Eigens<strong>ch</strong>aft, die<br />

es bezei<strong>ch</strong>net und wäre na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wort¬definition also autolog (selbstbes<strong>ch</strong>reibend). Wäre<br />

„heterolog“ also selbst autolog, dann käme ihm die Eigens<strong>ch</strong>aft zu, die es bezei<strong>ch</strong>net und<br />

mithin wäre „heterolog“ heterolog (ni<strong>ch</strong>t-selbstbes<strong>ch</strong>reibend). <strong>Die</strong> Grellings<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> ist<br />

zwar ni<strong>ch</strong>t mehr als ein Gedankenspiel, aber geradezu ein klassis<strong>ch</strong>es Beispiel einer<br />

<strong>Paradoxie</strong>.<br />

Weitere unkommentierte Beispiele:<br />

Regel: Alle Regeln haben Ausnahmen.<br />

Hat diese Regel eine Ausnahme o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t?<br />

Alle Verallgemeinerungen sind fals<strong>ch</strong>.<br />

Ist diese Verallgemeinerung wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>?<br />

„I<strong>ch</strong> weiß, dass i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts weiß.“<br />

Weiß man damit etwas o<strong>der</strong> weiß man ni<strong>ch</strong>ts? Auf dieses Beispiel kommen wir im<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil zurück (siehe Seite 189).<br />

Es sei an dieser Stelle an den ersten Satz dieses Kapitels erinnert. Er ist keine <strong>Paradoxie</strong>:<br />

Denn das Kapitel hat einen ersten Satz. Der erste Satz sagt ledigli<strong>ch</strong>, dass es keinen gäbe.<br />

Eine ähnli<strong>ch</strong>e Idee fand i<strong>ch</strong> bei Francois Jullien, <strong>der</strong> dem ersten Kapitel in Der Weise hängt<br />

an keiner Idee den Namen „Ohne etwas voranzustellen“ gibt – und dann damit beginnt, die<br />

Aussage des Titels „von Anfang an zu setzen“ (JULLIEN 2001: 13).<br />

Zu den „so genannten“ <strong>Paradoxie</strong>n:<br />

Zenons <strong>Paradoxie</strong>n sollen die Lehre des Parmenides stützen, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> das Seiende eines<br />

und unverän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, indem sie aus <strong>der</strong> Annahme, dass Vielheit und Bewegung real seien,<br />

absurde Konsequenzen ableiten. <strong>Die</strong> bekannteste ist A<strong>ch</strong>illes und die S<strong>ch</strong>ildkröte:<br />

Der s<strong>ch</strong>nelle A<strong>ch</strong>illes kann die langsame S<strong>ch</strong>ildkröte, die einen Vorsprung beim Wettlauf hat,<br />

nie einholen, denn wenn A<strong>ch</strong>illes an dem Ort ist, an dem die S<strong>ch</strong>ildkröte startete, ist sie<br />

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