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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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dosiert das Mahlgut zuführen. Auch die Nachbarn kamen zum Mahlen zu uns. Die gegenseitige<br />

Hilfe st<strong>an</strong>d immer im Mittelpunkt.<br />

Ein <strong>an</strong>deres Beispiel dafür: Essen ohne Salz ist kaum möglich. Unabhängig vom körperlichen Bedarf<br />

ist es auch eine Geschmackssache. In der ersten Zeit f<strong>an</strong>d m<strong>an</strong> immer noch Salzlake vom<br />

eingepökelten Fleisch in nicht bewohnten Häusern. Doch das hatte bald ein Ende. Eines Tages<br />

kam von einem Nachbarn ein Hinweis, dass m<strong>an</strong> in L<strong>an</strong>dsberg in einem abgebr<strong>an</strong>nten Schuppen<br />

Salz gef<strong>und</strong>en hätte. Das Anwesen gehörte einem früheren Vieh- <strong>und</strong> Fellhändler. Nichts wie hin!<br />

Dort <strong>an</strong>gekommen, war schon eine größere Menschengruppe bergmännisch tätig. Das Salz war<br />

nur ein einziger schmutziger Klumpen. M<strong>an</strong> konnte sich tatsächlich nur mit einer Spitzhacke Ecken<br />

her<strong>aus</strong>schlagen. Auch hier wollte sich keiner materiell bereichern, jeder machte bald den Platz frei<br />

für die vielen Wartenden. Das verschmutzte Salz war nicht gerade appetit<strong>an</strong>regend, doch war es<br />

kein Problem es zu reinigen. Es wurde brockenweise in Wasser gelöst <strong>und</strong> durch ein Tuch gegossen.<br />

Verwertet wurde es auch im Flüssigzust<strong>an</strong>d <strong>und</strong> reichte tatsächlich bis zu unserer Ausreise im<br />

Dezember 1946.<br />

D<strong>an</strong>n kam wieder einmal eine Botschaft, dass im Ort Dixen, knapp 3 Kilometer von uns entfernt, in<br />

einem früheren Wehrmachtsdepot Erbsen zu finden seien. Wieder sind wir in einer kleineren<br />

Gruppe über Waldwege dorthin aufgebrochen. Die Halle f<strong>an</strong>den wir bald, sie war aber absolut leer.<br />

Andere waren schneller. Übrigens war uns dieser Ort namentlich bek<strong>an</strong>nt <strong>und</strong> gehörte zu unseren<br />

<strong>Flucht</strong>wegen. Erst später erfuhren wir, dass im Februar 1945 sowjetische Artillerie dort gezielt in<br />

Flüchtlingstrecks hineingeschossen hatte.<br />

Wie schon erwähnt, gingen wir <strong>aus</strong> gutem Gr<strong>und</strong> in Dist<strong>an</strong>z zu Sprengmitteln <strong>und</strong> ähnlichem<br />

Kriegsmaterial. So lag gleich hinter unserer Scheune eine russische Eierh<strong>an</strong>dgr<strong>an</strong>ate <strong>und</strong> etwas<br />

weiter weg eine deutsche Stielh<strong>an</strong>dgr<strong>an</strong>ate mit her<strong>aus</strong>hängender Abzugsschnur. Solche Dinge<br />

rührten wir nicht <strong>an</strong>, sie waren unberechenbar <strong>und</strong> deshalb gefährlich. Und d<strong>an</strong>n hat mich doch<br />

einmal der „Teufel geritten“. Durch den früheren oft sehr leichtsinnigen Umg<strong>an</strong>g mit Munition <strong>und</strong><br />

<strong>an</strong>deren Sprengmitteln, fühlte ich mich häufig auch irgendwie sicher <strong>und</strong> schätzte Gefahren nicht<br />

richtig ein. So f<strong>an</strong>d ich einmal kleine Röhrchen <strong>aus</strong> Kupfer, die der Kleinkalibermunition ähnelten,<br />

nur reichlich bleistiftdick waren. Sie hatten eine Füllung, doch es gab kein eingesetztes Geschoss.<br />

Dass sie etwas mit Munition oder Sprengstoff zu tun haben müsste, war mir schon klar. KK-<br />

Munition hatten wir früher sehr oft zur Explosion gebracht, indem wir sie auf eine feste Metallunterlage<br />

legten <strong>und</strong> mit gezieltem Hammerschlag zündeten. Nie war dabei etwas passiert. Also müsste<br />

m<strong>an</strong> das auch mit diesem vergleichbaren Ding hinkriegen. Eine Axt wurde als feste Unterlage in<br />

den Hackeklotz geschlagen. Darauf wurde das unbek<strong>an</strong>nte Röhrchen gelegt <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n kam zielsicher<br />

der Hammerschlag. Es krachte <strong>und</strong> ich verspürte zeitgleich einen Stich im rechten Oberschenkel,<br />

kurz über dem Knie. Aus einer kleinen W<strong>und</strong>e quoll tiefrotes Blut her<strong>aus</strong>. Ein kleiner<br />

Splitter war schräg <strong>und</strong> reichlich vier Zentimeter weit ins Fleisch eingedrungen, zum Glück steckte<br />

er aber nur ca. einen Zentimeter unter der Haut. Hätte mich der Splitter <strong>an</strong>derswo getroffen, gäbe<br />

es mich wahrscheinlich nicht mehr. Da der Schussk<strong>an</strong>al sofort <strong>an</strong>schwoll, konnte m<strong>an</strong> die Richtung<br />

erkennen <strong>und</strong> auch die Stelle, <strong>an</strong> der sich der Splitter festgesetzt hatte. Mutter habe ich nichts von<br />

diesem Vorfall erzählt. Sie hätte mit Sicherheit immer wieder auf mich eingeschimpft, was nichts<br />

gebessert hätte.<br />

Bald d<strong>an</strong>ach bekam ich mehrere böse Geschwüre, immer wo<strong>an</strong>ders, sehr schmerzhaft. Da musste<br />

ich Mutter über den möglichen Zusammenh<strong>an</strong>g aufklären. Dieser Zust<strong>an</strong>d hielt sich über Monate.<br />

Der Splitter konnte nicht her<strong>aus</strong>eitern, er war zu tief. Wo der Splitter steckte, konnte ich mit dem<br />

Finger tief hineindrücken, dabei füllte sich der Schlussk<strong>an</strong>al vermutlich mit Eiter. Eines Tages bildete<br />

sich <strong>an</strong> dieser Stelle ein wenig Grind <strong>und</strong> beim Abkratzen öffnete sich die W<strong>und</strong>e. Eine stinkende<br />

Eiterbrühe trat her<strong>aus</strong> <strong>und</strong> ich merkte, wie sich innen das Fleisch richtig zersetzt hatte. Ein<br />

Loch war entst<strong>an</strong>den, doch der Splitter saß fest <strong>und</strong> wurde nicht abgestoßen. Als H<strong>aus</strong>mittel wurden<br />

Wegerichblätter zerklopft <strong>und</strong> aufgelegt, sie sollten die W<strong>und</strong>e „aufziehen“. Und tatsächlich<br />

zeigte sich eines Tages eine Ecke des Splitters <strong>an</strong> der kleinen offenen Stelle, ich konnte ihn fassen<br />

<strong>und</strong> her<strong>aus</strong>ziehen. Es war ein kleines Stückchen Kupferblech von der Größe einer Erbse. Der<br />

Splitter hatte Grünsp<strong>an</strong> <strong>an</strong>gesetzt. Nachdem er <strong>aus</strong> dem Körper her<strong>aus</strong> war, bekam ich keine Geschwüre<br />

mehr. Der Schussk<strong>an</strong>al <strong>und</strong> die Narben sind heute noch sichtbar. Ich hatte wieder einmal<br />

Glück! Doch Leichtsinn wird meist bestraft!<br />

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