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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Es war bereits später Nachmittag, die Bäuerin, Frau L<strong>an</strong>gh<strong>an</strong>s, hatte <strong>an</strong> diesem Tag pl<strong>an</strong>mäßig<br />

Backtag für einen großen Posten Brot. Das dauerte seine Zeit, denn der Backofen, Teil des Küchenherdes,<br />

musste mit Holz aufgeheizt werden, der Sauerteig musste eine geraume Zeit „gehen“,<br />

<strong>und</strong> d<strong>an</strong>n kamen die Brote in den Ofen. Als das passiert war, kam einer der Offiziere auf uns zu<br />

<strong>und</strong> forderte uns auf, das H<strong>aus</strong> bzw. den Hof zu verlassen. Er n<strong>an</strong>nte als Ziel Bartenstein, ca. 28<br />

Kilometer entfernt, östlich von uns. Es fing bereits <strong>an</strong> zu dämmern. So nahmen wir uns einen Teil<br />

unseres griffbereiten Überlebensgepäcks <strong>und</strong> verließen H<strong>aus</strong> <strong>und</strong> Hof ins Unbek<strong>an</strong>nte, besser gesagt:<br />

ins Ungewisse. Was mit den Fr<strong>an</strong>zosen passierte, haben wir nie erfahren.<br />

Wenn ich das Überlebensgepäck erwähne, d<strong>an</strong>n erinnere ich mich noch, dass Helmut u. a. einen<br />

Eimer halb voll mit Schmalz hatte <strong>und</strong> Werner gr<strong>und</strong>sätzlich ein kleines Köfferchen mit unseren<br />

Papieren <strong>und</strong> ähnlichen Dingen tragen musste. Ich hatte einen altersgerechten Rucksack <strong>und</strong> eine<br />

Aktentasche. Wir entschieden uns, nach L<strong>an</strong>dsberg zu gehen. Immerhin waren wir 18 Personen.<br />

Auf der Straße L<strong>an</strong>dsberg/Hoofe <strong>an</strong>gekommen <strong>und</strong> in Richtung L<strong>an</strong>dsberg gehend, st<strong>an</strong>den in<br />

dichtem Abst<strong>an</strong>d Geschütze, die Rohre relativ steil nach oben gerichtet, so dass der Gr<strong>an</strong>ateneinschlag<br />

in nicht allzu großer Entfernung erfolgen musste. Das Kaliber war so um die 10 Zentimeter.<br />

Das waren die Geschütze, die früh unsere Wiesensenke als ein erstes Ziel beschossen hatten.<br />

Auch zu diesem Zeitpunkt feuerten die Geschütze noch ohne Unterbrechung.<br />

Da es fast dunkel war, hatten wir ein kleines Gehöft am Stadtr<strong>an</strong>d von L<strong>an</strong>dsberg für die Übernachtung<br />

<strong>an</strong>visiert. Die Stadt selbst wollten wir meiden, sie war mit Sicherheit voll von Russen,<br />

denn von hier <strong>aus</strong> formierte sich der gegenwärtige Angriff Richtung Westen. Auf dem Gehöft <strong>an</strong>gekommen,<br />

hatten schon viele Menschen dort Zuflucht gesucht. Mit Kerzen waren die Räume mäßig<br />

erhellt. In solch Überlebenssituation suchten wir Menschen ein<strong>an</strong>der <strong>und</strong> es war Platz für jeden. So<br />

auch für uns 18 Zufluchtsuchende. Bei dieser spärlichen Ausleuchtung f<strong>an</strong>d jeder eine Liegemöglichkeit,<br />

auch für den Kinderwagen mit einem wenige Monate alten Säugling war genügend Platz.<br />

Zu erwähnen wäre noch, dass all die vielen Menschen möglichst in einem Raum sein wollten. Irgendwie<br />

erhöhte dies das Gefühl der Sicherheit. Die Bleibe sollte auch nur für diese eine Nacht<br />

sein.<br />

Nun passierte Folgendes: Ein alter russischer Soldat, weit über 50 Jahre alt, brachte uns geöffnete<br />

deutsche Feldpostpäckchen mit Keksen <strong>und</strong> ähnlichem Inhalt. Er schob die jungen Frauen in ein<br />

wenig auffallendes Nebenzimmer, stellte einen Tisch davor, legte sich drauf <strong>und</strong> stellte sich schlafend.<br />

Das ging eine Weile gut. D<strong>an</strong>n kamen junge, hasserfüllte Soldaten, die irgendwie seine Absicht<br />

erk<strong>an</strong>nten, den Tisch mit ihm umkippten <strong>und</strong> ins Zimmer dr<strong>an</strong>gen. Er zuckte uns gegenüber,<br />

wenig auffallend, mit den Schultern <strong>und</strong> konnte das nicht verhindern. Es war wie eine wortlose<br />

Entschuldigung. Allerdings wurden die jungen Frauen nicht vergewaltigt, es ging diesen Soldaten<br />

mehr um die übliche Beute wie Uhren, Schmuck <strong>und</strong> Ähnliches. Diese Gruppe gehörte noch zu<br />

den Kampfeinheiten <strong>und</strong> verhielt sich gemäßigt. Die Nacht war überst<strong>an</strong>den <strong>und</strong> wir rüsteten zum<br />

Aufbruch in Richtung Reddenau, wo wir ja bedingt heimisch waren <strong>und</strong> auf die Möglichkeiten für<br />

eine Bleibe hofften.<br />

Bartenstein bzw. <strong>an</strong>dere Ziele im Osten wurden gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>aus</strong>geschlossen, wir befürchteten<br />

einen Abtr<strong>an</strong>sport nach Russl<strong>an</strong>d. Bis Reddenau waren es etwa 18 Kilometer <strong>und</strong> als Tagesziel,<br />

selbst unter erschwerten Bedingungen, zumutbar. Vor unserem Aufbruch haben wir versucht, noch<br />

ein wenig das Umfeld zu erfassen <strong>und</strong> uns nach etwas Essbarem umzuschauen. Vorsicht war insofern<br />

geboten, da bei vielen die Angst auf Magen <strong>und</strong> Darm geschlagen hatte <strong>und</strong> einige schafften<br />

es für ihre Notdurft gerade noch bis kurz vor die H<strong>aus</strong>tür. Un<strong>an</strong>genehm, aber menschlich.<br />

Seitlich des H<strong>aus</strong>es bef<strong>an</strong>d sich eine kleine Scheune, die Tore st<strong>an</strong>den offen. An einem Querbalken,<br />

nicht sehr hoch, baumelte ein erhängter deutscher Soldat. Vermutlich von der Feldgendarmerie,<br />

gen<strong>an</strong>nt Kettenh<strong>und</strong>e, <strong>aus</strong> niederen Beweggründen erhängt. Diese brutalen Menschen nahmen<br />

jede Möglichkeit wahr, versprengte Soldaten oder Flüchtige hinzurichten. Sie hatten scheinbar<br />

Spaß am Morden, aber nur, wenn die Betreffenden wehrlos waren.<br />

Ich erwähnte schon, dass es bis Reddenau etwa 18 Kilometer waren, mit Umwegen etwas mehr.<br />

Unter den konkreten Bedingungen aber letztlich doch unberechenbar. So sollte es auch kommen.<br />

Die Straßen, insbesondere die Hauptverkehrsstraßen, waren unüberschaubar voll von Militärtech-<br />

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