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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Und d<strong>an</strong>n noch etwas g<strong>an</strong>z Besonderes: Die zwei Fleischer der Stadt verkauften zweimal wöchentlich<br />

Fleischbrühe. Die war so klar, dass m<strong>an</strong> den Boden im Topf sehen konnte, aber die Verkäuferin<br />

gab nach dem Füllen des Gefäßes noch einen halben Teelöffel pures Fett hinein. Damit<br />

schauten zumindest so viele Augen her<strong>aus</strong>, wie hinein. Jetzt waren wir doch froh, dass wir den geflickten<br />

Kochtopf von Opa Thielers Sohn hatten, da gingen mindestens vier Liter Brühe hinein <strong>und</strong><br />

unsere Suppe bekam einen Geschmacksverstärker.<br />

Ich fing d<strong>an</strong>n auch wieder <strong>an</strong>, für Bek<strong>an</strong>nte Schuhe inst<strong>an</strong>dzusetzen. Es war nicht häufig, aber einige<br />

Eier oder Anderes brachte das schon ein. Erstaunlich für diese Zeit war, dass ich sogar einen<br />

„Dreifuß“ zu kaufen bekam. Das ist das Ding, auf das m<strong>an</strong> den Schuh drauf steckt, wenn m<strong>an</strong> ihn<br />

besohlen will. Dass es solche Artikel bereits zu kaufen gab, war ein Anzeichen, dass erste Betriebe<br />

nach dem Krieg wieder zu produzieren beg<strong>an</strong>nen. In L<strong>an</strong>dsberg habe ich bei den Polen bereits<br />

Täkse kaufen können. Hier gab es so etwas noch nicht. Also musste ich jeden Nagel von H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>fertigen.<br />

Kupferdraht <strong>aus</strong> alten Telefonleitungen war des Ausg<strong>an</strong>gsmaterial, Kopf <strong>an</strong>gestaucht,<br />

Draht zum Vierk<strong>an</strong>t spitz gehämmert <strong>und</strong> jeder Nagel war ein Unikat mit Goldwert. Für uns fertigte<br />

ich Holzs<strong>an</strong>dalen mit einem Gelenk wegen des besseren Abrollens <strong>an</strong>. Weil diese Dinger beim<br />

Gehen sehr laut waren, wurden sie allgemein „Klapperlatschen“ gen<strong>an</strong>nt. Gertrud bekam später<br />

ein Paar richtige Riemchens<strong>an</strong>dalen, sogar mit halbhohem Absatz.<br />

Der Frühsommer 1947 verlief ohne besondere Höhepunkte <strong>und</strong> mit wenig Hoffnung auf Besserung<br />

der Situation. Bei Mutter kam nie der Ged<strong>an</strong>ke auf arbeiten zu gehen, ich sollte mir eine Arbeit suchen,<br />

um die Familie ernähren zu können. Vorerst hatten wir noch Geld, das wir <strong>aus</strong> <strong>Ostpreußen</strong><br />

mitgebracht hatten. Versteckt hatte ich dies auf folgende Art: Ich stemmte die Absätze <strong>aus</strong> meinen<br />

Schuhen <strong>aus</strong>, faltete Geld zusammen, wickelte es in Alufolie <strong>aus</strong> den Kondensatoren des Radios<br />

<strong>und</strong> verschloss d<strong>an</strong>n die Absätze. Weiterhin löste ich ein großes Riester von einem Schuh, schob<br />

das Geld hinein <strong>und</strong> nähte das G<strong>an</strong>ze wieder zu. Beim Öffnen meiner Verstecke musste ich d<strong>an</strong>n<br />

mit Ernüchterung feststellen, dass das Geld sehr gelitten hatte, allerdings war es noch verwendbar.<br />

Wir hatten auch noch Geld am Körper versteckt, aber wenn nichts dazu kommt, ist es irgendw<strong>an</strong>n<br />

doch alle.<br />

Außer unserem dürftigen Alltag belastete uns doch die Frage: Wo sind unsere Angehörigen? Helmut<br />

durfte nicht gemeinsam mit uns <strong>aus</strong>reisen. Vielleicht wollte er auch nicht. Er war ja in L<strong>an</strong>dsberg<br />

einigermaßen versorgt <strong>und</strong> hatte sich auch schon l<strong>an</strong>ge „abgenabelt“. In L<strong>an</strong>dsberg hatte sich<br />

eine Art staatliches Unternehmen gegründet, das überall nach Autowracks der deutschen Wehrmacht<br />

suchte <strong>und</strong> <strong>aus</strong> diesen wieder fahrbare Autos zusammenbastelte. Erst wenn wieder einmal<br />

ein fertiges Auto bei der Zentrale in Allenstein abgeliefert werden konnte, gab es Geld. So ein Er-<br />

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