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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Patrone wurde geöffnet <strong>und</strong> das Schießpulver auf eine Kohlenschaufel geschüttet. Dazu kamen<br />

kleine Holzspäne. Mit dem Brennglas wurde in der Sonne das Schießpulver entzündet, die Holzspäne<br />

schnell draufgelegt <strong>und</strong> das lodernde Feuer mittels Kohlenschaufel problemlos in den Küchenherd<br />

gebracht. Nur einmal hatte ich ein wenig Pech. Es war wieder einmal das Feuer <strong>aus</strong>geg<strong>an</strong>gen,<br />

allerdings war es schon kurz vor Sonnenunterg<strong>an</strong>g <strong>und</strong> die Sonne hatte nur noch wenig<br />

Kraft. Die Prozedur lief wie immer ab <strong>und</strong> ich versuchte das Schießpulver zu zünden. Das wollte<br />

<strong>und</strong> wollte nicht klappen <strong>und</strong> ich ging immer weiter mit dem Kopf runter. Und d<strong>an</strong>n entzündete es<br />

sich doch, fast explosionsartig <strong>und</strong> meine Wimpern <strong>und</strong> Augenbrauen waren weg gebr<strong>an</strong>nt. Größere<br />

Verbrennungen hatte ich nicht, aber das gewollte Feuer! Wieder einmal Glück gehabt.<br />

Unsere nächsten Nachbarn, etwa einen Kilometer entfernt, nur Frauen im H<strong>aus</strong>, sind recht oft zu<br />

uns gekommen, um glühende Kohle in einem Eimer zu holen. Sie behalfen sich auf ihre Art. Als<br />

später in L<strong>an</strong>dsberg das erste Geschäft nach dem Krieg geöffnet hatte, war das Streichholzproblem<br />

gelöst. Aber das neue Problem hieß: Woher Zlotys kriegen, das polnische Geld. Nachdem sich<br />

die polnische Verwaltung schrittweise in den Städten aufbaute <strong>und</strong> auch auf das Uml<strong>an</strong>d von<br />

L<strong>an</strong>dsberg Einfluss nahm, wurden wir eines Tages inoffiziell aufgefordert, für eine Kuh <strong>und</strong> ein<br />

Pferd Heu zu machen, in der Menge eines Wintervorrats. Da es genügend Wiesen <strong>und</strong> auch Kleeäcker<br />

in unmittelbarer Gr<strong>und</strong>stücksnähe gab, machte das Abmähen mit der Sense fast Spaß. Eingeholt<br />

wurde das fertige Heu mit einem großen H<strong>an</strong>dwagen. Wir waren eigentlich mehr als naiv zu<br />

glauben, ein Pferd <strong>und</strong> eine Kuh von den Polen zu bekommen. Später sollten wir erfahren, welche<br />

Absicht dahinter steckte.<br />

Was wir nicht wissen konnten war, dass die Sowjetunion die mit Hitler <strong>aus</strong>geh<strong>an</strong>delte polnische<br />

Ostgrenze als verbindlich <strong>und</strong> endgültig erklärt hatte. Dafür wurde die polnische Westgrenze nach<br />

Westen, der heutigen Oder-Neiße-Grenze, verschoben. Die deutschen Gebiete fielen <strong>an</strong> die Polen.<br />

Alle Polen, die seit Generationen in nun litauischem Gebiet bzw. in der Westukraine lebten, wurden<br />

<strong>aus</strong>gewiesen bzw. umgesiedelt. M<strong>an</strong> könnte auch sagen: Sie wurden <strong>aus</strong> ihren <strong>an</strong>gestammten<br />

Gebieten vertrieben, obwohl diese Nationalitäten immer friedlich nebenein<strong>an</strong>der gelebt hatten. In<br />

unseren Raum kamen 1945/46 vorwiegend Polen <strong>aus</strong> der Wojewodschaft Wilna, der heutigen<br />

Hauptstadt Litauens.<br />

Durch das Kampfgeschehen <strong>und</strong> seine Folgewirkungen gab es, von wenigen Ausnahmen abgesehen,<br />

keine H<strong>aus</strong>tiere mehr. In der Ferne, Menschen meidend, sah m<strong>an</strong> gelegentlich ein Rudel von<br />

vielleicht fünf H<strong>und</strong>en. Sie liefen immer in Reihe von groß nach klein, Jagdh<strong>und</strong>e bis Dackel, wie<br />

die „Bremer Stadtmusik<strong>an</strong>ten“. Eines Tages waren aber auch sie nicht mehr zu sehen. M<strong>an</strong> erzählte,<br />

dass es im Nachbardorf jem<strong>an</strong>d gab, der H<strong>und</strong>efleisch aß, er sollte wohl am Verschwinden beteiligt<br />

gewesen sein. In unserem Gr<strong>und</strong>stück lebte verwildert eine schwarze Katze. Sie lief immer<br />

schleichend geduckt <strong>und</strong> wenn sie uns erspähte, war sie wie ein Blitz verschw<strong>und</strong>en. Sie ernährte<br />

sich nur von gef<strong>an</strong>genen Mäusen <strong>und</strong> von denen gab es mehr als genug. Sie bekam mehrmals im<br />

Jahr, versteckt in der Scheune, Junge. Also musste es im Umfeld auch einen Kater geben, st<strong>an</strong>d<br />

für uns fest. Der tauchte d<strong>an</strong>n eines Tages bei uns auf, schwarz-weiß gefleckt, nicht scheu, aber<br />

faul im Mäusef<strong>an</strong>gen. Er wollte von uns gefüttert werden. Die kleinen Kätzchen waren so verwildert,<br />

dass das Einf<strong>an</strong>gen kaum möglich war. Einmal gel<strong>an</strong>g es einem uns bek<strong>an</strong>nten Polen, das<br />

war aber deutlich später, tatsächlich ein Jungtier zu f<strong>an</strong>gen. Er nahm es in guter Absicht mit nach<br />

H<strong>aus</strong>e <strong>und</strong> wollte ein zahmes H<strong>aus</strong>tier dar<strong>aus</strong> machen. Vergeblich! Er gab es bald auf <strong>und</strong> ließ das<br />

Tier bei uns wieder frei. Er erzählte uns d<strong>an</strong>n Folgendes: Als er das niedliche Kätzchen im Zimmer<br />

frei ließ, spielte es regelrecht verrückt, riss alles nieder, warf alles um, biss <strong>und</strong> kratzte um sich,<br />

fauchte alle <strong>an</strong> <strong>und</strong> war nicht zu bändigen. In der Erkenntnis, das Tier ist nicht zu zähmen, brachte<br />

er es d<strong>an</strong>n zu den <strong>an</strong>deren zurück.<br />

Der Winter 1945/46 war grimmig kalt <strong>und</strong> unsere schwarze Katze kam immer wieder bis zur H<strong>aus</strong>tür.<br />

Es muss ihr sicher schlecht geg<strong>an</strong>gen sein. Und eines Abends, beim Öffnen der H<strong>aus</strong>tür von<br />

innen, schoss sie wie eine Rakete ins H<strong>aus</strong> <strong>und</strong> weiter in die Küche. In der Nähe vom Herd hatten<br />

wir gebündeltes Astwerk gestapelt. Eigentlich war es ein Versteck für Dinge, die die Russen <strong>und</strong><br />

Polen nicht finden sollten. Das war instinktiv Ziel für die Katze, die darin verschw<strong>an</strong>d <strong>und</strong> sich nicht<br />

wieder sehen ließ. Das Futter, das wir abends hinstellten, war früh immer von ihr gefressen. Früh<br />

verlief die Prozedur umgekehrt. Beim Öffnen der Türen verschw<strong>an</strong>d sie genau so schnell wie abends<br />

beim Unterschlupfsuchen. Als es draußen wieder etwas wärmer wurde, nahm sie unsere<br />

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