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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Täuber. Als sich eines Tages eine Gruppe von polnischer Miliz unserem Gr<strong>und</strong>stück näherte,<br />

nahm Helmut ein Beil <strong>und</strong> hackte allen die Köpfe ab. Er versteckte eiligst die Tauben <strong>und</strong> wir hatten<br />

noch einmal Fleisch. Da diese jungen Milizionäre alles mitnahmen, was ihnen gefiel, war diese<br />

schnelle Entscheidung letztlich das kleinere Übel.<br />

Bei der Suche nach Fleisch durften wir nicht wählerisch sein. Eines Tages erspähte ich in einer<br />

Baumgruppe ein Nest einer Elster. Da ich als Kind häufig kletterte, war es kein Problem, das Nest<br />

zu erreichen. Leider war nur ein Junges darin, aber kurz vor dem „Flüggesein“, also schon voll befiedert.<br />

Nach dem Töten <strong>und</strong> Rupfen waren wir insofern enttäuscht, weil der Rabenvogel Elster<br />

körperlich <strong>aus</strong>gesprochen klein war <strong>und</strong> der befiederte Kopf fast so groß wie der Körper schien.<br />

Geschmeckt hat’s trotzdem! Es gab noch eine <strong>an</strong>dere waghalsige Begebenheit mit dem Nester<strong>aus</strong>nehmen.<br />

Etwas weiter von uns entfernt war in einer Baumgruppe auf einem relativ hohen<br />

Baum ein Horst von einem Habicht. Fleisch ist Fleisch, Federvieh gleich Federvieh! Ein etwa<br />

gleichaltriger Junge wurde <strong>an</strong> dem Unternehmen beteiligt. Natürlich lag die Initiative zum Besteigen<br />

des Baumes wieder bei mir. Ich war etwa einen halben Meter von meinem Ziel entfernt, als<br />

sich eines der alten Tiere im Sturzflug näherte, um das Nest mit den Jungen zu verteidigen. Ob<br />

Schein<strong>an</strong>griff oder ernst, ich kletterte so schnell wie möglich nach unten <strong>und</strong> ließ von meinem Vorhaben<br />

ab.<br />

Es war die Zeit der Kartoffelernte <strong>und</strong> wir bef<strong>an</strong>den uns am oberen Ende des Ackers. Dort st<strong>an</strong>d<br />

eine große Fichte. Sie war als einzelner Baum breit gewachsen mit weit <strong>aus</strong>ladenden Ästen. In<br />

wenigen h<strong>und</strong>ert Metern Entfernung war unser Wäldchen, entgegengesetzt ein zweites Wäldchen.<br />

Eine Jungkrähe wollte von einem Wald zum <strong>an</strong>deren fliegen <strong>und</strong> bekam Konditionsprobleme. Sie<br />

schaffte es mit letzter Mühe gerade noch bis zu diesem Baum <strong>und</strong> auch nur auf einen der unteren<br />

Äste. Schnell lief ich ins H<strong>aus</strong> <strong>und</strong> holte mein Katapult. Die Krähe saß immer noch da <strong>und</strong> hatte<br />

wohl keinen Mut zum nächsten Wäldchen weiterzufliegen. Bei dieser Entfernung zum Vogel, etwa<br />

acht Meter, war das Treffen nicht unbedingt das Problem. Aber das dicke Federkleid einer Krähe<br />

hatte ich unterschätzt. Das Tier schüttelte sich nur <strong>und</strong> plusterte sich sichtbar auf. Den Kopf zu treffen<br />

wäre sicher die Lösung gewesen, aber das klappte nicht. Jetzt nahm ich größere Steine <strong>und</strong><br />

versuchte es mit gezieltem Werfen. Das war erfolgreich <strong>und</strong> ich hatte die Krähe! Vom Hörensagen<br />

wusste ich, dass das Fleisch von Krähen bitter schmecken soll. M<strong>an</strong> soll einen Rabenvogel daher<br />

enthäuten. Also wurde das Tier nicht gerupft, sondern abgezogen wie ein K<strong>an</strong>inchen. Das ging<br />

problemlos. Wir konnten d<strong>an</strong>n beim Essen feststellen, dass Krähenfleisch wie Taube schmeckt.<br />

In <strong>Ostpreußen</strong> gab es relativ viele Krähen, die aber als Nahrungsmittel nicht gefragt waren. Allerdings<br />

st<strong>an</strong>d in unserem Lesebuch eine Geschichte über „Krajebieter“ – Krähenbeißer– auf der Kurischen<br />

Nehrung. Dort wurden die Krähen mit großen Netzen gef<strong>an</strong>gen <strong>und</strong> mit einem Biss hinter<br />

den Kopf getötet. Es war wohl eine Winterbeschäftigung der Fischer. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sicher davon <strong>aus</strong>gehen,<br />

dass es ein delikater Ausgleich zum Fisch war, der vorwiegend gegessen wurde.<br />

Neue polnische Nachbarn<br />

Ich hatte schon erwähnt, dass m<strong>an</strong> in unserer Region Polen <strong>an</strong>gesiedelt hatte, die <strong>aus</strong> Litauen <strong>und</strong><br />

der Ukraine vertrieben worden waren. Eines Tages kam ein großer kräftiger M<strong>an</strong>n, Alter um die<br />

Mitte 30, vorsichtig um die Scheunenecke <strong>und</strong> suchte Kontakt zu uns. Er sprach ein recht gutes<br />

Deutsch, so dass m<strong>an</strong> sich gut mit ihm verständigen konnte. Unter der Jacke hatte er eine Flasche<br />

Milch versteckt, für unseren kleinen Werner. Er muss schon länger beobachtet haben, dass ein<br />

Kind zu unserem Hof gehörte. Es war wohl die erste Milch seit Februar, als wir kurzzeitig in Reddenau<br />

die von dem älteren Russen uns überlassene Kuh hatten. Der Pole, er hieß Wladislaw Sawko,<br />

kam <strong>aus</strong> dem Dorf Mitkuschki, <strong>aus</strong> der Nähe von Wilna. Er hatte sich mit der Familie seines<br />

Bruders <strong>und</strong> einer <strong>an</strong>deren Familie auf dem Gr<strong>und</strong>stück einquartiert, wo m<strong>an</strong> die Frau erschossen<br />

hatte. Dieses Gr<strong>und</strong>stück, überdurchschnittlich groß, der frühere Besitzer hieß Graf, hatte auch ein<br />

relativ großes Wohnh<strong>aus</strong>, so dass alle Platz genug hatten. Wlader, wie er allgemein gen<strong>an</strong>nt wurde,<br />

war Junggeselle <strong>und</strong> ihm reichte ein Zimmer. Sein Bruder Ludwig hatte schon vier Kinder <strong>und</strong><br />

war früher Offizier in der polnischen Armee. Obwohl beide mit Pferd <strong>und</strong> Wagen <strong>und</strong> jeweils einer<br />

Kuh kamen, war ihr Besitz recht dürftig. Die Familie des Bruders brachte noch einige Hühner mit<br />

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