05.01.2013 Aufrufe

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Hilfe nicht mehr <strong>an</strong> <strong>und</strong> versorgte sich selbst.<br />

Eines Tages kam ich auf seltsame Art zu einem H<strong>und</strong>. Wieder einmal kamen drei russische Soldaten<br />

ins H<strong>aus</strong>, um in unseren Sachen herumzuwühlen <strong>und</strong> etwas Brauchbares mitzunehmen. Es<br />

war ein Serge<strong>an</strong>t dabei. Uns gegenüber verhielten sie sich gemäßigt <strong>und</strong> nicht aggressiv. Einer<br />

von ihnen hatte einen kleinen, noch jungen H<strong>und</strong> bei sich.<br />

Ohne richtiges Halsb<strong>an</strong>d, als Leine einen Strick, zog er das Tier mehr, als dass es freiwillig mit ihm<br />

ging. Wie es typisch für junge H<strong>und</strong>e ist, bewegte sich das Tier tollpatschig, orientierungslos <strong>und</strong><br />

schnüffelte nur herum. Die Soldaten verließen das H<strong>aus</strong> ohne etwas mitzunehmen. Nach etwa einer<br />

halben St<strong>und</strong>e kam einer der Soldaten zurück <strong>und</strong> fragte in verständlichem Deutsch, ob wir<br />

den H<strong>und</strong> gesehen hätten. Das war natürlich nicht der Fall, der Soldat zog wieder ab. Nach etwa<br />

wieder einer halben St<strong>und</strong>e tauchte der kleine H<strong>und</strong> allein auf <strong>und</strong> suchte unseren Kontakt. Das<br />

war uns zu Beginn gar nicht so richtig <strong>an</strong>genehm, denn wenn die Soldaten zurückgekommen wären<br />

<strong>und</strong> den H<strong>und</strong> gesehen hätten, wären sie sicher davon <strong>aus</strong>geg<strong>an</strong>gen, dass wir den H<strong>und</strong> versteckt<br />

hätten. Das wäre uns nicht gut bekommen. Doch die Russen kamen nicht zurück <strong>und</strong> das<br />

Tier war unseres, ich könnte auch sagen „meins“.<br />

Ab sofort hieß der kleine Tollpatsch „Fiffi“, er hörte auch bald auf diesen Namen. Fiffi hatte ein rotbraunes<br />

Fell, war kurzhaarig <strong>und</strong> etwas kleiner als ein Fuchs, als er seine volle Größe erreicht hatte.<br />

Er war sehr <strong>an</strong>hänglich, gelehrig <strong>und</strong> ein <strong>aus</strong>gesprochener Spurensucher. Dafür einige Beispiele:<br />

Es war Erntezeit für das Wintergetreide. In <strong>Ostpreußen</strong> wurde vorwiegend Roggen <strong>an</strong>gebaut,<br />

Weizen war die Ausnahme. In etwas größerer Entfernung hatten wir doch ein Weizenfeld <strong>aus</strong>gemacht<br />

<strong>und</strong> gingen mit <strong>an</strong>deren zum Ährenschneiden. Da unweit die Straße nach Heilsberg vorbeiführte<br />

<strong>und</strong> häufig Militärfahrzeuge vorbeifuhren, wollten wir von denen nicht gesehen werden. Sie<br />

waren immer noch unberechenbar. Also verlief das Ährenschneiden nur kniend bzw. in abgeduckter<br />

Haltung. Obwohl niem<strong>an</strong>d zu sehen war, raschelte es auffällig laut im Getreidefeld. Da das Geräusch<br />

direkt auf uns zukam, unterbrachen wir das Ährenschneiden um noch tiefer in Deckung zu<br />

gehen. Wir erwarteten Russen. Wer uns d<strong>an</strong>n aber erfreut <strong>an</strong>sah, das war Fiffi. Eigentlich wurde<br />

Fiffi immer im H<strong>aus</strong> eingesperrt, wenn wir irgendwo hingingen. Opa Thieler hatte ihn etwas leichtfertig<br />

r<strong>aus</strong> gelassen <strong>und</strong> er kam auf direktem Weg zu uns.<br />

Ein <strong>an</strong>deres Mal ging es um eine größere Entfernung. Mutter, Werner <strong>und</strong> ich besuchten in Grünwalde<br />

die Familie, bei der Helmut während der Zeit in Powarschen, die Zeit des Pferdelazaretts<br />

<strong>und</strong> d<strong>an</strong>ach, mit Familien<strong>an</strong>schluss gewohnt hatte. Der Ort Grünwalde war mindestens vier Kilometer<br />

von uns entfernt. Wir mieden wie meist die Straße, gingen über Waldwege <strong>und</strong> nutzten auch<br />

die Bahnstrecke für unseren Weg nach Grünwalde. Bei der Familie Kämpfert <strong>an</strong>gekommen gab es<br />

eine herzliche Begrüßung <strong>und</strong> da m<strong>an</strong> gerade beim Essen war, sollten wir auch zugreifen. Wir haben<br />

ja auch nicht gehungert <strong>und</strong> waren versorgt, allerdings hatten wir schon l<strong>an</strong>ge keinen Brotaufstrich<br />

mehr. Und hier st<strong>an</strong>d ein großes Weckglas auf dem Tisch mit einem Inhalt, der <strong>aus</strong>sah wie<br />

Leberwurst. Zaghaft bestrichen wir unsere Schnitten, natürlich zurückhaltend dünn. Eine ältere<br />

Mitbewohnerin sah uns zu <strong>und</strong> meinte d<strong>an</strong>n in richtigem Platt: „Moakt nur richtich droap, wie häbbe<br />

jenoach davon unn könne wedder nieet moake!“ – „Macht nur richtig drauf, wir haben genug davon<br />

<strong>und</strong> können wieder Neues machen!“ In der Not wird m<strong>an</strong> erfinderisch. Auf der Gr<strong>und</strong>lage von Pilzen<br />

<strong>und</strong> verschiedenen traditionellen Gewürzen hatten sie einen leberwurstähnlichen Brotaufstrich<br />

gemixt. Zur Nachahmung empfohlen! Und nun kommts. Es war schon später Nachmittag. Wir wollten<br />

den Heimweg <strong>an</strong>treten. Wir öffnen die H<strong>aus</strong>tür <strong>und</strong> wer steht da: Fiffi. Obwohl wir wenig benutzte<br />

Wege gingen, hat er nach St<strong>und</strong>en die Spur aufgenommen <strong>und</strong> uns so wieder einmal überrascht.<br />

Opa Thieler hatte ihn auch dieses Mal <strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong> gelassen. Erschreckt hat er mich oft,<br />

wenn ich auf entfernten Gr<strong>und</strong>stücken auf den H<strong>aus</strong>böden nach etwas Brauchbarem suchte. Tripp<br />

trapp kam jem<strong>an</strong>d die Treppe hoch <strong>und</strong> begrüßte mich mit Schw<strong>an</strong>zwedeln. M<strong>an</strong> musste immer<br />

davon <strong>aus</strong>gehen, dass es Russen waren <strong>und</strong> eine unberechenbare Situation entstehen könnte.<br />

Oft waren auch einzelne russische Soldaten unterwegs, die <strong>aus</strong> eigener Angst den Abzug ihrer<br />

MPi durchzogen. So passierte es einmal, dass ein junger Soldat, kaum 17 Jahre alt, bei uns vorbeikam<br />

<strong>und</strong> mir mit Gesten verständlich machte, dass ich mitkommen solle. Eigentlich wirkte er<br />

sympathisch, aber das will nichts bedeuten. Wir gingen zum unbewohnten Nachbargr<strong>und</strong>stück, er<br />

91

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!