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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

wir wiederholt die Sektoren. M<strong>an</strong> erk<strong>an</strong>nte aber am jeweiligen Umfeld, wo m<strong>an</strong> war. D<strong>an</strong>n erspähten<br />

wir einen Kiosk, außen mit vielen leeren Kisten umlagert. Dahinter könnte m<strong>an</strong> ein wenig<br />

Schutz suchen, war unser gemeinsamer Ged<strong>an</strong>ke. Die Räder passten auch noch hin. Es dauerte<br />

nicht l<strong>an</strong>ge, da klopfte uns ein Schupo auf die Schulter. In der Annahme, wir wollten in den Kiosk<br />

einbrechen, verscheuchte er uns. Der Polizist, den traditionellen Schakko auf dem Kopf, machte<br />

uns bewusst, dass wir auf der westlichen Seite waren. Für mich weckte diese Kopfbedeckung sofort<br />

<strong>Erinnerungen</strong> <strong>an</strong> meine <strong>Kindheit</strong>. Also mussten wir wieder weg <strong>und</strong> nach einer <strong>an</strong>deren Übernachtungsmöglichkeit<br />

suchen. Das klappte. Wir erspähten ein H<strong>aus</strong> im Rohbau, ohne Fenster <strong>und</strong><br />

Türen drin, also mit direktem Zug<strong>an</strong>g für uns <strong>und</strong> die Fahrräder. Wir legten uns einige Bohlen für<br />

eine Liegefläche zusammen <strong>und</strong> wegen der Übermüdung schliefen wir auch gleich ein. Die nasse<br />

Kleidung verspürten wir nicht.<br />

Ich wurde als erster munter, es war bereits hell. Schnell weg, ehe die Bauleute kommen, war unsere<br />

Devise. Anh<strong>an</strong>d der Straßenschilder orientierten wir uns relativ schnell <strong>und</strong> wollten zum nächsten<br />

Bahnhof. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Schöneweide. Wir stellten dort unsere Fahrräder<br />

ein <strong>und</strong> suchten entsprechende Geschäfte, in Ost <strong>und</strong> West. Irgendwie muss m<strong>an</strong> uns <strong>an</strong>gesehen<br />

haben, wo wir herkamen. Wiederholt sprach m<strong>an</strong> uns auf bestimmte Artikel <strong>an</strong>. Besonders<br />

hoch im Kurs st<strong>an</strong>d Quecksilber, d<strong>an</strong>ach wurden wir auch gefragt. Buntmetalle waren auch, bereits<br />

damals, ein begehrter Artikel <strong>und</strong> brachten einiges ein.<br />

Tageseinkaufstour beendet, zum Bahnhof <strong>und</strong> auf die Räder. Bis kurz vor Treuenbrietzen lief alles<br />

normal. Der Verkehr ließ sogar zu, dass wir ohne den kraftraubenden Dynamo fuhren. D<strong>an</strong>n kam<br />

die Müdigkeit. Wir fuhren normal weiter, nur die Konzentration ließ nach. Wenn wir seitlich <strong>an</strong>ein<strong>an</strong>der<br />

stießen, waren wir sofort erschreckt munter <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n passierte es, dass Helmut mit seiner<br />

Pedale unter meine Schutzblechstrebe kam. Das Schutzblech durchstach den Reifen, das Vorderrad<br />

blockierte <strong>und</strong> mein Fahrrad <strong>und</strong> ich machten einen Salto vorwärts. Beim Aufkommen habe ich<br />

meine rechte H<strong>an</strong>d so verstaucht, dass ich gar nicht mehr zugreifen konnte. Dadurch musste Helmut<br />

Schlauch <strong>und</strong> Reifen wechseln, wir hatten diese zur Reserve mit, <strong>und</strong> die Fahrt ging weiter.<br />

Durch das Ereignis war der Schlaf vorübergehend vertrieben <strong>und</strong> in Treuenbrietzen versuchten wir<br />

eine Bleibe zu finden. Erfolglos. Wir fuhren weiter in die Nacht hinein <strong>und</strong> entdeckten unweit der<br />

Straße auf dem Feld einen Strohschober. Er war wie für uns vorbereitet, zum Teil etwas <strong>aus</strong>gehöhlt,<br />

das Richtige für die Übernachtung. Früh munter geworden nach dem erholsamen Schlaf,<br />

machten wir uns <strong>an</strong> einem kleinen Bach frisch <strong>und</strong> nach etwa zwei Kilometern hielten wir Frühstücksrast.<br />

Die wollte Helmut fotografieren. Dabei mussten wir feststellen, dass er den Fotoapparat<br />

in unserem Nachtlager liegen gelassen hatte. Zum Glück waren wir noch nicht weit weg <strong>und</strong> er fuhr<br />

allein zurück, um ihn zu holen. Auch diese Fahrt war ein Abenteuer, <strong>an</strong> das m<strong>an</strong> sich gern erinnert.<br />

Ein letztes Erlebnis <strong>aus</strong> den ersten Nachkriegsjahren, gekoppelt mit einem historischen Ereignis,<br />

das in beiden Teilen Deutschl<strong>an</strong>ds eine neue Ära einleitete. Es war im Juni 1948. Ich pl<strong>an</strong>te für<br />

meinen Urlaub einen Besuch bei Erwin. Da wir uns in vielen Dingen sehr ähnlich waren, hatte ich<br />

das Bedürfnis, ihn nach einem Jahr wiederzusehen. Ich wollte wie beim ersten Mal mit dem Zug<br />

bis Stapelburg, d<strong>an</strong>n mit einem Umweg über die Äcker nach Bad Harzburg. Diese Tour k<strong>an</strong>nte ich<br />

ja <strong>und</strong> ich hatte keine Bedenken, dass es dieses Mal schiefgehen könnte. Erwin war über meinen<br />

Besuch informiert. Die Bahnfahrt war in diesem Jahr etwas entsp<strong>an</strong>nter, die Reisenden wie bisher<br />

vorwiegend die „Heringsbändiger“. Im Zug von Halberstadt Richtung Ilsenburg/Stapelburg saß ich<br />

mit einer Familie zusammen, die erst kürzlich <strong>aus</strong> <strong>Ostpreußen</strong> mit einem Tr<strong>an</strong>sport <strong>aus</strong>gereist war.<br />

Die Frau erzählte noch, dass sie auf einem großen Gut, jetzt Sowchose gen<strong>an</strong>nt, tätig war <strong>und</strong> die<br />

Deutschen eigentlich gut versorgt worden waren. Es war der nördliche Teil <strong>Ostpreußen</strong>s <strong>und</strong> sie<br />

meinte, dass der sowjetische Komm<strong>an</strong>d<strong>an</strong>t den Deutschen recht gut gesonnen war. Er hatte extra<br />

noch Schweine schlachten lassen, damit sie für die Fahrt nach Deutschl<strong>an</strong>d <strong>aus</strong>reichend versorgt<br />

werden konnten.<br />

Ihr M<strong>an</strong>n war <strong>aus</strong> westlicher Gef<strong>an</strong>genschaft entlassen worden, k<strong>an</strong>nte jetzt den Aufenthalt der<br />

Familie in Mitteldeutschl<strong>an</strong>d <strong>und</strong> wollte sie mit der gesamten Habe „nach drüben“ holen. Und so<br />

saßen sie da, natürlich mit viel Gepäck <strong>und</strong> der entsprechenden Angst, die sich in Grenznähe noch<br />

steigerte. Die Frau fragte mich d<strong>an</strong>n, ob ich sie beim Gepäcktragen ein wenig unterstützen könnte,<br />

ich glaube, sie hatte zwei Kinder dabei. Ich bejahte, weil ich keine Einschränkung für mich sah. In<br />

Stapelburg <strong>an</strong>gekommen hieß es Endstation, alle stiegen <strong>aus</strong> <strong>und</strong> die Massen schwärmten wie üb-<br />

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