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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

schwammen Fische flach <strong>an</strong> der Wasseroberfläche. Die meisten waren zum Verzehr zu klein, aber<br />

wir hatten unseren Erfolg. Wir meinten, dass durch die Verbrennungsblasen der Zündschnur die<br />

großen Fische das Weite gesucht hätten. Also wurde die Zündschnur stetig gekürzt. Es sollte zeitlich<br />

so knapp zugehen, dass die Explosion unmittelbar nach dem Reinwerfen der Sprengkapsel ins<br />

Wasser erfolgte. Wie schnell hätte es passieren können, dass uns durch diesen Leichtsinn die<br />

H<strong>an</strong>d hätte abreißen können.<br />

D<strong>an</strong>n war die Zündschnur verbraucht. Wir untersuchten erneut den Anhänger <strong>und</strong> versorgten uns<br />

mit weiteren Sprengkapseln. Auf dem Anhänger waren noch viele Rollen braunen Kabels. Bis zu<br />

diesem Zeitpunkt waren wir der Meinung, dass es Elektrokabel waren. Beim genauen Betrachten<br />

stellten wir fest, es waren Zündschnüre. Jetzt waren wir versorgt. Unsere Sprengversuche wurden<br />

immer häufiger <strong>und</strong> auch abwechslungsreicher. Die bevorzugte Vari<strong>an</strong>te war: Mit einem Stock ein<br />

Loch in die Erde bohren, Zündschnur mit Sprengkapsel <strong>an</strong>brennen, alles in das Loch hinein, drauf<br />

treten <strong>und</strong> den dumpfen Knall mit Erderschütterung genießen. Wir steigerten uns weiter bis zu dem<br />

Versuch, kleine Bäume mit einer geballten Ladung zu fällen. Aber so richtig klappte das nicht. Es<br />

knallte überall im Dorf. Wir, die Großen mit zwölf, dreizehn Jahren waren schon sehr leichtsinnig.<br />

Aber auch die 9jährigen räumten den Hänger mit <strong>aus</strong>, betrachteten das gefährliche Material wie<br />

Spielzeug. Glücklicherweise gab es keine Unfälle. Das G<strong>an</strong>ze hörte erst auf, als der Hänger leer<br />

war.<br />

Eine sinnlose, gefährliche Aktion<br />

Mittlerweile war es Anf<strong>an</strong>g Oktober 1944. Der Frontverlauf hatte sich bis dahin nicht verändert. Vater<br />

<strong>und</strong> Helmut waren wie bisher noch in Eydtkau auf dem Bahnhof. Da wir immer noch <strong>an</strong> die<br />

W<strong>und</strong>erwaffe der Wehrmacht glaubten <strong>und</strong> meinten, irgendw<strong>an</strong>n nach H<strong>aus</strong>e zurückkehren zu<br />

können, hatte Mutter den blöden Einfall, die Kartoffeln in Eydtkau <strong>aus</strong> der Erde zu holen <strong>und</strong> einzumieten.<br />

Zumindest die Kartoffeln im Garten <strong>und</strong> am Torfbruch. Und so fuhren wir eines Tages<br />

mit dem Zug von Bartenstein über Königsberg zu unseren Verw<strong>an</strong>dten nach Gerwen. Am nächsten<br />

Tag sollte es d<strong>an</strong>n von dort nach Eydtkau gehen <strong>und</strong> abends wieder nach Gerwen zurück. Der<br />

Zugverkehr lief immer noch pl<strong>an</strong>mäßig <strong>und</strong> zuverlässig.<br />

In Königsberg hatten wir einen längeren Aufenthalt. Mutter, Werner <strong>und</strong> ich wollten diese Aufenthaltszeit<br />

mit einem kleinen Stadtbummel überbrücken. Wir waren noch nicht weit vom Bahnhof<br />

weg, da bewegten wir uns durch eine Ruinenstadt. Kein H<strong>aus</strong> st<strong>an</strong>d mehr, besser gesagt, es gab<br />

nur noch total <strong>aus</strong>gebr<strong>an</strong>nte Häuser, von denen nur noch die Wände st<strong>an</strong>den. Beeindruckend habe<br />

ich noch in Erinnerung, wie in einer etwa dritten Etage ein Kachelofen in einer Ecke wie unversehrt<br />

hing. Die Straßen waren komplett aufgeräumt <strong>und</strong> befahrbar. Der Trümmerschutt war zur<br />

Seite geräumt <strong>und</strong> so weit das Auge reichte, war es das gleiche Bild. Wir gingen bedrückt zum<br />

Bahnhof zurück. Der Königsberger Hauptbahnhof lag wohl <strong>an</strong> der südlichen Peripherie der Stadt<br />

<strong>und</strong> schien unbeschädigt. M<strong>an</strong> erzählte, dass der Bahnhof eingenebelt worden sei <strong>und</strong> dadurch<br />

nicht getroffen wurde. Inwieweit das stimmt, weiß ich nicht.<br />

Wir setzten unsere Fahrt fort <strong>und</strong> kamen pl<strong>an</strong>mäßig in Gumbinnen <strong>an</strong>. Das Abholen nach Gerwen<br />

war schon länger vereinbart. Am nächsten Morgen ging es d<strong>an</strong>n nach Eydtkau. Uns empfing eine<br />

tote Stadt! Wir gingen auf direktem Wege in unsere Wohnung <strong>und</strong> Stallung <strong>und</strong> machen uns d<strong>an</strong>n<br />

<strong>an</strong> die Kartoffeln. Der weiteste Acker war ca. 20 min entfernt. Hin <strong>und</strong> wieder waren Jagdbomber,<br />

allgemeine Bezeichnung „Jabo“, am Himmel zu sehen. D<strong>an</strong>n mussten wir die Arbeit auf dem Acker<br />

unterbrechen <strong>und</strong> uns verstecken bzw. unsichtbar machen. Die schossen auf alles was sich bewegte.<br />

Am Nachmittag ging es wieder in die Wohnung zurück. Zufällig war zeitgleich eine <strong>an</strong>dere<br />

Familie <strong>aus</strong> dem Nachbarh<strong>aus</strong> <strong>an</strong>wesend. Ein früherer Schulfre<strong>und</strong> hatte schon das Umfeld <strong>aus</strong>gespäht<br />

<strong>und</strong> zeigte mir das besonders Sehenswerte. Im mittleren H<strong>aus</strong> der ersten Reihe, Wiesenstraße<br />

3, war eine Bombe vom Dach durch alle Etagen durchgeschlagen. Sie steckte als Blindgänger<br />

bis zur Hälfte im Kellerboden. Interess<strong>an</strong>t f<strong>an</strong>d ich den Blick nach oben. Durch die Löcher<br />

konnte m<strong>an</strong> den blauen Himmel sehen. Auf Achenbachs Wiese, also nicht weit von unserem H<strong>aus</strong><br />

entfernt, stak ebenfalls ein Blindgänger, das Leitwerk der Bombe guckte r<strong>aus</strong>, es war verbogen.<br />

Auf der Wiese gab es viele flache Trichter von Einschlägen der sogen<strong>an</strong>nten „Ratschbum“, die <strong>aus</strong><br />

den l<strong>an</strong>gsam fliegenden Flugzeugen von H<strong>an</strong>d abgeworfen wurden <strong>und</strong> beim leichtesten Aufschlag<br />

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