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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Wir warteten <strong>und</strong> warteten. Uns schien es wie eine Ewigkeit, d<strong>an</strong>n kam unser „Taubenfänger“ wie<br />

ein H<strong>und</strong>ertmeterläufer <strong>an</strong>ger<strong>an</strong>nt. Er hielt seine Jacke zu, hatte aber darunter etwas B<strong>aus</strong>chiges<br />

verborgen. Er pustete. Zu dritt ging es im Laufschritt weiter in die offene Flur zu einem schilfumwachsenen<br />

Teich. Das war der erste Teil der Aktion „Taube am Spieß“. Ein Erfolg! Unser Taubenfänger<br />

öffnete erst jetzt seine Jacke <strong>und</strong> warf ein mittelgroßes, grau meliertes Huhn auf den Boden.<br />

Er erzählte Folgendes: Auf dem Hof stellte er als Erstes fest, ob jem<strong>an</strong>d in der Nähe war. Zum<br />

Glück war der Hof leer, alle waren zur Kartoffelernte auf dem Feld. Also rein in den Stall. Ein hastiges<br />

Flattern <strong>und</strong> alle Tauben waren fort. Aber da waren die Hühner, relativ zahm. Stalltür zu, das<br />

erstbeste wurde gef<strong>an</strong>gen. Er wollte den Kopf abreißen. So etwas macht m<strong>an</strong> üblicherweise nur<br />

bei Tauben. Den Hühnern wird der Kopf mit einem Beil auf dem Hackeklotz abgehackt. Er erzählte<br />

d<strong>an</strong>n, dass er den Kopf immer wieder drehte <strong>und</strong> versucht hat abzureißen. Vermutlich ist das Huhn<br />

dar<strong>an</strong> erstickt, oder er hat die Halswirbel gebrochen. Nun lag der künftige Braten vor uns. Das<br />

Rupfen <strong>und</strong> Ausnehmen war kein Problem, ich hatte das schon öfter zu H<strong>aus</strong>e gemacht <strong>und</strong> besaß<br />

Erfahrung. Das Huhn wurde im Schilf versteckt in der Hoffnung, dass der Fuchs es nicht über<br />

Nacht holte.<br />

Der nächste Tag beg<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n in Erwartung auf das abenteuerliche Festessen. Ich hatte noch Salz<br />

mitgenommen, als einziges Gewürz. Das Huhn war noch da <strong>und</strong> wir gingen in den nahe gelegenen<br />

Wald. Eine kleine Lichtung wurde gesucht, zwei kleine Astgabeln als Spießhalterung waren bald<br />

gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> der Spieß war auch kein Problem. Es fehlte jetzt nur noch das trockene Holz zum<br />

Feuern <strong>und</strong> Brutzeln. Jetzt kam der erste Rückschlag: Es fing leicht <strong>an</strong> zu regnen <strong>und</strong> das umliegende<br />

trockene Geäst war sofort feucht. Wir brachen d<strong>an</strong>n die trockenen Äste von den Fichten ab<br />

<strong>und</strong> bald konnte es losgehen. Das Feuer br<strong>an</strong>nte, abwechselnd wurde der Spieß gedreht <strong>und</strong> unser<br />

Braten wurde schwarz <strong>und</strong> immer schwärzer. Aber nicht durch verbr<strong>an</strong>ntes Fleisch, sondern<br />

vielmehr vom Ruß des Feuers. Nach einiger Zeit wurde gekostet. Ein Stückchen Fleisch abzukriegen<br />

war fast eine Kunst, <strong>und</strong> rohes Fleisch schmeckt ja bek<strong>an</strong>ntlich nicht besonders. Keiner von<br />

uns gab das zu <strong>und</strong> wir waren uns einig, es muss noch länger brutzeln. Und so ging es weiter mit<br />

der Beschaffung von trockenen Ästen, die kaum Hitze abgaben, <strong>und</strong> dem Warten auf den kulinarischen<br />

Erfolg. Einer von uns Jungs musste von außerhalb des Waldes einschätzen, ob der Rauch<br />

sehr zu sehen war. Seiner Meinung nach war das nicht der Fall. Wir waren beruhigt. Am Zust<strong>an</strong>d<br />

unseres Fleisches änderte sich jedenfalls nichts. Es blieb roh <strong>und</strong> wurde un<strong>an</strong>sehnlich <strong>und</strong> tiefschwarz.<br />

Nach diesem Eingeständnis wurde die Aktion abgebrochen <strong>und</strong> unser Huhn unauffällig<br />

dem Wald überlassen. Einigkeit best<strong>an</strong>d darüber, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben<br />

müssten, oder mein Bruder Helmut hatte sichtlich übertrieben. Es könnte aber auch so gewesen<br />

sein, dass sie ihre G<strong>an</strong>s halb roh aßen <strong>und</strong> dies nicht zugaben. Im späteren Leben begriff ich, dass<br />

m<strong>an</strong> zum Grillen eine Menge Holzkohle benötigt <strong>und</strong> viel Zeit aufwenden muss. Und bei einer<br />

G<strong>an</strong>s lohnt sich mit Sicherheit ein Vorgaren auf konventionelle Art.<br />

Welche nennenswerten Abenteuer gab es noch während unseres Aufenthalts in Reddenau? Bei<br />

unserem Tagesaufenthalt in Eydtkau blieb neben der Kartoffelernte noch genügend Zeit für das<br />

Herumstöbern in der „Geisterstadt“. Überall lag Schießpulver in kleinen geschlossenen Beuteln<br />

herum, zum Beispiel in Form von längeren Würsten. Das Schießpulver selbst war auch in der Körnung<br />

verschieden. Normal diente es als Zuladung bei der Artillerie. Ich sammelte mir eine Menge<br />

Beutel mit Feinkörnung, packte sie in einen Karton <strong>und</strong> alles ging mit nach Reddenau. Irgendetwas<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> sicher mit dem Zeug <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen, war die Devise. So bastelte ich u. a. sogen<strong>an</strong>nte Frösche,<br />

die mir als Silvesterknaller bek<strong>an</strong>nt waren. Das ging wie folgt: Zeitungspapier wurde mit<br />

Schießpulver zu einer kleinen Röhre, so etwa bleistiftdick, zusammengerollt. D<strong>an</strong>n wurde es wie<br />

eine Schl<strong>an</strong>ge zusammengefaltet <strong>und</strong> ordentlich mit Bindfaden eng zusammengeb<strong>und</strong>en. Ein Ende<br />

wurde <strong>an</strong>gezündet <strong>und</strong> ab ging das wie eine Rakete, die sich ständig überschlug, sich am Erdboden<br />

wälzte, zwischendurch mehrfach explodierte <strong>und</strong> m<strong>an</strong>chmal tatsächlich wie eine Minirakete<br />

unkontrolliert von d<strong>an</strong>nen zog. Es waren sagenhafte Erfolgserlebnisse <strong>und</strong> immer wieder gab es<br />

Überraschungen. So geschah es einmal, dass sich so ein Frosch tatsächlich wie eine Rakete erhob<br />

<strong>und</strong> direkt in einen für den Winter als Brennmaterial aufgeschichteten Strauchhaufen flog. Ich<br />

hatte Glück. Es kam zu keinem Br<strong>an</strong>d.<br />

Aber mit Schießpulver k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> viel mehr <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen. Die alten Vorderlader-Pistolen <strong>und</strong> ihr<br />

Gebrauch war uns schon von Filmen bek<strong>an</strong>nt. Übrigens hatten wir noch zu H<strong>aus</strong>e mit einem Vor-<br />

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