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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Das traf auch auf das sich sehr schnell formierte Streikkomitee von Buna zu. Die Mitglieder, die<br />

m<strong>an</strong> erwischte, wurden in die sowjetische Garnison Merseburg gebracht <strong>und</strong> dort mehrere Tage<br />

festgehalten. Einigen glückte noch die <strong>Flucht</strong> in den Westen. Ein Kollege von mir gehörte auch<br />

dem Streikkomitee <strong>an</strong>. Er wurde verhaftet, aber bald wieder entlassen.<br />

Die Sowjets machten uns bewusst, wer das Sagen hatte. Es müsste der Folgetag gewesen sein.<br />

Ich schaute während der Arbeit <strong>aus</strong> dem Fenster unseres Zimmers <strong>und</strong> direkt auf die Straße, die<br />

vom Haupteing<strong>an</strong>gstor des Werkes in unsere Richtung führte. Ich sah sowjetische P<strong>an</strong>zer her<strong>an</strong>rollen.<br />

In der Höhe der Hauptwerkstatt des Bunawerkes hielt der erste <strong>an</strong>, drehte den Turm mit K<strong>an</strong>one<br />

auf das Werkstatttor <strong>und</strong> verharrte. Das löste schon einige Angstgefühle bei mir <strong>aus</strong> <strong>und</strong> es<br />

kamen die Bilder der Erlebnisse in <strong>Ostpreußen</strong> 1945 zurück. Zur selben Zeit hatte das Streikkomitee<br />

zu einer Großk<strong>und</strong>gebung in dieser Großraumwerkstatt aufgerufen <strong>und</strong> die Halle war proppenvoll.<br />

Die Sowjets müssen das gewusst haben, <strong>und</strong> darauf <strong>aus</strong>gerichtet, ihre Aktion gepl<strong>an</strong>t haben.<br />

Sie wussten genau, wo der erste P<strong>an</strong>zer halten musste. Übrigens begründeten sie ihr H<strong>an</strong>deln<br />

damit, dass sie nicht die vielen Millionen Menschen bei der Vernichtung des deutschen Faschismus<br />

geopfert hätten, damit die gleichen Kräfte wieder <strong>an</strong> Macht gewinnen. Einige wenige haben<br />

ihnen durch unüberlegtes H<strong>an</strong>deln dieses Motiv geliefert.<br />

Trotz der Arbeitsniederlegungen lief die Produktion allgemein weiter, am 15. Juli 1953 kam es jedoch<br />

zu einem begrenzten Produktionsstillst<strong>an</strong>d. Die Massen waren nicht so schnell zu beruhigen,<br />

auch wenn die Regierung Zugeständnisse machte. Die Arbeiter der Karbidfabrik, der Basis für die<br />

Hauptproduktion des Werkes, fuhren die Karbidöfen bis zum Stillst<strong>an</strong>d zurück. Zum Wieder<strong>an</strong>fahren<br />

holte m<strong>an</strong> z. T. Fachkräfte <strong>aus</strong> Piesteritz, dort gab es eine ähnliche Karbidtechnologie. Nach<br />

relativ kurzer Zeit beruhigte sich die Situation in den Werkstätten. M<strong>an</strong> wollte Lohn<strong>aus</strong>fälle vermeiden<br />

<strong>und</strong> auch meine Kollegen Normierer wurden bald in Ruhe gelassen.<br />

Meine vereinbarte Tätigkeit als Normierer ging bald zu Ende, ich war nicht unglücklich darüber.<br />

Zusammenfassend k<strong>an</strong>n ich aber sagen, dass ich in dieser Zeit wirklich viel gelernt habe. Ich k<strong>an</strong>nte<br />

jetzt alle Lokomotiven mit Zusatzaggregaten, dem Innenleben <strong>und</strong> auch den erforderlichen Aufw<strong>an</strong>d<br />

bei Teilinst<strong>an</strong>dsetzungen oder einer Generalüberholung. Mein Betriebsleiter hatte Recht mit<br />

seinem Argument: „Als junger Mensch sollte m<strong>an</strong> alle Möglichkeiten nutzen, um sich weiterzubilden.“<br />

Wir schrieben bereits das Jahr 1954. Obwohl mir meine Arbeit Spaß machte <strong>und</strong> ich auch in der<br />

Entlohnung eine Höherstufung erfuhr, hatte ich das Gefühl: „Irgendwie geht es nicht weiter.“ Ich<br />

suchte eigentlich nicht gezielt eine <strong>an</strong>dere Arbeit, aber d<strong>an</strong>n kam ein Angebot von der „Gesellschaft<br />

für Sport <strong>und</strong> Technik“ (GST), ob ich nicht als Werkstattleiter die Kfz-Werkstatt übernehmen<br />

möchte. Inst<strong>an</strong>dzuhalten waren dort etwa 25 Krafträder, ein PKW <strong>und</strong> ein LKW. Die Aufgaben entsprachen<br />

schon meinen Interessen, aber was ich da übernahm, war nur Schrott <strong>und</strong> Chaos. Mein<br />

Vorgänger war aktiver Motorradrennfahrer <strong>und</strong> war nur damit beschäftigt, seine Rennmaschine von<br />

einem Rennen bis zum <strong>an</strong>deren wieder in Ordnung zu bringen. Damit hatte er keine Zeit für seine<br />

eigentlichen Aufgaben <strong>und</strong> als alles am Boden lag, verließ er die DDR <strong>und</strong> ging in den Westen.<br />

Das war damals nicht schwierig, es gab keine so scharf bewachte Grenze mit Mauer, Stacheldraht<br />

<strong>und</strong> Minengürtel. Wenn m<strong>an</strong> einen Antrag bei den Behörden für einen Verw<strong>an</strong>dtenbesuch o. Ä.<br />

stellte, gab es allgemein keine Ablehnung <strong>und</strong> wer nicht wieder zurückkehrte, war letztlich nur weg.<br />

Zur GST muss mehr gesagt werden, denn der Name „Gesellschaft für Sport <strong>und</strong> Technik“ verschleiert<br />

die eigentliche Funktion. Bald nach dem Krieg wurde die Freie Deutsche Jugend (FDJ)<br />

gegründet, als einzige Jugendorg<strong>an</strong>isation. In der ersten Zeit st<strong>an</strong>den die eigentlichen politischen<br />

Ziele nicht so sehr im Vordergr<strong>und</strong>. Innerhalb des Jugendverb<strong>an</strong>des wurden Sektionen gebildet,<br />

die für die jungen Menschen interess<strong>an</strong>t schienen <strong>und</strong> Zuspruch sicherten. So z. B. der Flugmodellbau<br />

<strong>und</strong> der Motorsport. Dafür war auch genug Geld da. Die FDJ-Kreisorg<strong>an</strong>isation Buna erhielt<br />

u. a. 25 Motorräder der Marken AWO <strong>und</strong> BMW/EMW <strong>und</strong> <strong>aus</strong> dem Flugmodellbau entwickelte<br />

sich sogar der Segelflug. Die FDJ wurde d<strong>an</strong>n eine rein politische Org<strong>an</strong>isation <strong>und</strong> 1952 wurde<br />

die Gesellschaft für Sport <strong>und</strong> Technik gegründet. Alle technischen Sektionen der FDJ wurden in<br />

die GST überführt. Es gab jetzt z. B. die Sektionen: Motorsport, Segelflug, Fallschirmsport,<br />

Schießsport, Seesport, H<strong>und</strong>esport, Funksport, selbst der Reitsport wurde in die GST übernom-<br />

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