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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

wenn Verw<strong>und</strong>etentr<strong>an</strong>sporte von der Front kamen. Personenzüge waren zu einer Art Lazarettzüge<br />

mit Liegen umgerüstet worden. Die z. T. schwer Verw<strong>und</strong>eten erhielten bei uns eine medizinische<br />

Zwischenversorgung. Es waren auch viele Soldaten dabei, die erhebliche Erfrierungen hatten.<br />

Frauen vom Roten Kreuz erzählten hinter vorgehaltener H<strong>an</strong>d von dem Erlebten bzw. ihren<br />

kaum zu ertragenden psychischen Belastungen. Zum Teil herrschte in den Zugabteilen unerträglicher<br />

Gest<strong>an</strong>k, denn die meisten Verw<strong>und</strong>eten waren bereits über einen längeren Zeitraum unterwegs<br />

während dem es kaum einen Verb<strong>an</strong>dswechsel bzw. eine W<strong>und</strong>beh<strong>an</strong>dlung gab.<br />

Auch wir Schüler wurden mit Aufgaben betraut, da überall Arbeitskräfte fehlten. Alle Fronturlauber<br />

bzw. die, die Heimaturlaub bekamen, hatten bei uns meist einen <strong>an</strong>gemessenen Aufenthalt. Sie<br />

erhielten vor ihrer Weiterfahrt ein Paket mit <strong>aus</strong>gewählter Essware, die wir verpacken mussten.<br />

Meist waren haltbare Lebensmittel für den Kochtopf drin, z. B. Erbsen, Bohnen, Nudeln <strong>und</strong> Ähnliches.<br />

Bis 1943 gab es kaum Fliegeralarm. Wenn tatsächlich feindliche Flugzeuge unseren Luftraum überflogen,<br />

hatten sie Ziele im Inl<strong>an</strong>d. Üblicherweise waren es Garnisonsstädte mit Flughäfen oder<br />

<strong>an</strong>dere militärische Ziele. In unserer Region war das Insterburg mit einem größeren Flughafen.<br />

Hier gab es ein großes Bombardement in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1944. Das war unmittelbar<br />

vor unserer Evakuierung <strong>aus</strong> Eydtkau. Wenn wir in den Luftschutzkeller gingen, durfte Mutter<br />

ihren kleinen „Rot-Kreuz-Koffer“ mit Verb<strong>an</strong>dsmaterial <strong>und</strong> ähnlichem Inhalt nicht vergessen. Sie<br />

war für unser H<strong>aus</strong> die „Laienhelferin“. Ob sie wirklich zur ersten Hilfe fähig war, bezweifle ich.<br />

Vater blieb gr<strong>und</strong>sätzlich in seinem Bett. Er musste früh zur Arbeit <strong>und</strong> ließ sich seinen Schlaf nicht<br />

nehmen. Einmal gab es tatsächlich einen Bombenabwurf mit lauter Detonation <strong>und</strong> wir sahen auch<br />

in der Ferne einen sogen<strong>an</strong>nten „Christbaum“. Das waren l<strong>an</strong>gsam zur Erde sinkende Leuchtkörper,<br />

die den Boden erhellten <strong>und</strong> der Zielsuche dienten. Sie wurden häufig aber auch so gesetzt,<br />

dass eine zu bombardierende Fläche damit markiert wurde. Das sah <strong>an</strong>gsteinflößend <strong>aus</strong>. Wehe<br />

dem, der sich in so einer zu bombardierenden Fläche aufhielt. In diesem Fall war das aber weit<br />

weg. Es reichte aber, dass Vater aufst<strong>an</strong>d <strong>und</strong> auch in den Luftschutzkeller kam. Wir Schüler durften<br />

am Folgetag etwas später in die Schule gehen. Aber der fehlende Schlaf zeigte im Unterricht<br />

doch Wirkung.<br />

Wenn feindliche Flugzeuge unser Gebiet überflogen, ging sofort das Gerücht um, dass Spione mit<br />

Fallschirmen abgesetzt worden sind. Hier wirkte die ständige Propag<strong>an</strong>da, auch durch Plakate. An<br />

ein typisches Plakat k<strong>an</strong>n ich mich noch erinnern, es war in grau gehalten, ein M<strong>an</strong>n mit Hut war<br />

abgebildet, der „Schattenm<strong>an</strong>n“. Es war unterschrieben mit den Worten „Feind hört mit“. Dazu<br />

st<strong>an</strong>d in Großbuchstaben „PST“, der M<strong>an</strong>n hatte den Finger auf dem M<strong>und</strong>. Ob die Tätigkeit von<br />

Spionen wirklich so extrem war, bezweifle ich. Allerdings war m<strong>an</strong> sehr reserviert beim Weitererzählen<br />

von Gerüchten. Wir Kinder waren allerdings davon überzeugt, dass es diese Spione gab.<br />

Ein Beispiel soll das aufzeigen.<br />

In der Nähe unseres Wohngebiets, der Kolonie, war ein kleines Bauerngr<strong>und</strong>stück.<br />

Es war das, wo wir auch Stroh für unser Kartoffelfeuer klauten. In gleicher Höhe lagerten im Straßengraben<br />

zwei für uns unbek<strong>an</strong>nte Männer mittleren Alters. Als wir vorbeigingen, sprachen sie<br />

uns <strong>an</strong> <strong>und</strong> fragten nach dem Bahnhof. Das reichte für uns, sie als Spione einzustufen. Da es in<br />

unserer Gegend zu dieser Zeit nur die Bahn als Beförderungsmittel gab, hätten sie auch mit der<br />

Bahn <strong>an</strong>gereist sein müssen <strong>und</strong> wissen, wo der Bahnhof ist. Also waren sie unserer Meinung<br />

nach irgendwo mit einem Fallschirm gel<strong>an</strong>det <strong>und</strong> wollten jetzt mit der Bahn weiter zu einem <strong>aus</strong>zuspionierenden<br />

Ziel. Wir waren uns natürlich unserer Ver<strong>an</strong>twortung bewusst <strong>und</strong> es ging im<br />

Laufschritt direkt zur Militärkomm<strong>an</strong>d<strong>an</strong>tur in der Stadt. Wir trugen unser Erlebnis mit entsprechender<br />

Ausmalung vor. Irgendwie unterdrückten die <strong>an</strong>wesenden Soldaten ein leichtes Lächeln, sie<br />

mussten der Sache aber letztlich nachgehen. Wir machten uns wieder auf den Weg um mitzuerleben,<br />

wie die „beiden Spione“ gef<strong>an</strong>gen genommen werden. Mit unseren flinken Beinen waren wir<br />

natürlich eher da <strong>und</strong> postierten uns in <strong>an</strong>gemessener Entfernung, aber so, dass wir alles miterleben<br />

<strong>und</strong> auch mithören konnten. Es dauerte auch nicht l<strong>an</strong>ge, da kam das „Verhaftungskomm<strong>an</strong>do“.<br />

Es waren ca. fünf Wehrmachts<strong>an</strong>gehörige auf Fahrrädern, jeder hatte die Wehrmachtspistole<br />

08 am Koppel, das g<strong>an</strong>ze wirkte tatsächlich ernst. Der Komm<strong>an</strong>doführer sprach die zwei <strong>an</strong> <strong>und</strong><br />

verl<strong>an</strong>gte deren Papiere. Nach kurzem Gespräch <strong>und</strong> einem hörbaren Lachen trennte m<strong>an</strong> sich.<br />

Wir waren weiter überzeugt, dass es Spione waren <strong>und</strong> das Komm<strong>an</strong>do versagt hatte. Wir schli-<br />

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