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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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nem Chef war gekennzeichnet durch gegenseitige Achtung <strong>und</strong> wechselseitige Anerkennung der<br />

Leistungen.<br />

Mein Arbeitsleben endete 1991, 60-jährig, im Bunawerk unfreiwillig. Kurz nach der Wende beg<strong>an</strong>nen<br />

das Sterben der Betriebe <strong>und</strong> die Massenentlassungen. Das Auflösen der Betriebe durch die<br />

Treuh<strong>an</strong>d war in vielen Fällen nicht sauber <strong>und</strong> häufig zu dem Zeitpunkt nicht unbedingt erforderlich.<br />

Aber das wäre ein eigenes Kapitel <strong>aus</strong> heutiger Sicht.<br />

Seit meinem Arbeitsbeginn 1947 war ich dem Betrieb treu geblieben <strong>und</strong> k<strong>an</strong>n abschließend sagen,<br />

dass es ein erfülltes Arbeitsleben war <strong>und</strong> ich mich vom jugendlichen Hilfsarbeiter zum <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten<br />

leitenden Mitarbeiter eines Großbetriebes hochgearbeitet hatte. Niem<strong>an</strong>d fragte nach<br />

meiner gesellschaftlichen Herkunft oder schulischen Abschlüssen. Allein das Können <strong>und</strong> Engagement<br />

war Gr<strong>und</strong>lage der Förderung im betrieblichen Einsatz. Für meine Leistungen wurde ich<br />

viermal als Aktivist <strong>und</strong> einmal als „Verdienter Aktivist“ <strong>aus</strong>gezeichnet. Diese letzte Auszeichnung<br />

bedurfte der Zustimmung des Ministeriums. Für meine l<strong>an</strong>gjährige pädagogische Tätigkeit erhielt<br />

ich die Pestalozzi-Medaillen in Bronze, Silber <strong>und</strong> Gold. Mag m<strong>an</strong>cher, der nicht in der DDR gelebt<br />

hat, über diese Auszeichnungen lächeln. Ich betrachte sie noch heute als Anerkennung der geleisteten<br />

Arbeit im Interesse einer qualifizierten Ausbildung unserer jungen Menschen, die auch heute<br />

in ihrem beruflichen Leben ihren M<strong>an</strong>n stehen <strong>und</strong> deren Können auch in den alten B<strong>und</strong>esländern<br />

<strong>und</strong> im Ausl<strong>an</strong>d Anerkennung findet. Auch diese Problematik wäre ein umf<strong>an</strong>greicher Komplex für<br />

sich.<br />

Leben <strong>und</strong> Freizeit in der Nachkriegszeit<br />

Meine berufliche Entwicklung habe ich geschildert, auch über die Zeit voller Entbehrungen nach<br />

der Umsiedlung in Bad Lauchstädt 1947 habe ich berichtet. Mit der allgemeinen Stabilisierung der<br />

Versorgung <strong>und</strong> der Entwicklung von Kultur <strong>und</strong> Sport <strong>und</strong> <strong>an</strong>derem, entwickelten sich auch persönliche<br />

Interessen <strong>und</strong> die Suche nach neuen Lebensinhalten.<br />

1947/1948 hatte ich kaum Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> gemeinsame Erlebnisse mit <strong>an</strong>deren. Die Einheimischen<br />

betrachteten uns ohnehin als Fremde <strong>und</strong> der Kontakt zu <strong>an</strong>deren Gleichaltrigen beschränkte sich<br />

meist auf „Zugew<strong>an</strong>derte“, verstärkt auf Schlesier. Ich ging viel ins Kino. Dazu diente ein Saal einer<br />

Gaststätte <strong>und</strong> die Filme, die m<strong>an</strong> damals zeigte, würde m<strong>an</strong> heute belächeln <strong>und</strong> als unmöglich<br />

<strong>und</strong> primitiv bewerten. Wir f<strong>an</strong>den sie aber toll. Später hatte ich über Jahre ein Theater<strong>an</strong>recht <strong>und</strong><br />

erlebte viele beeindruckende Darbietungen. Dass diese Ver<strong>an</strong>staltungen im historischen Goethetheater<br />

stattf<strong>an</strong>den, habe ich damals gar nicht so richtig begriffen. Ich erinnere mich heute noch <strong>an</strong><br />

Stücke, die so hervorragend <strong>und</strong> mit toller Besetzung gespielt wurden, wie ich sie später auf großen<br />

Bühnen nicht besser erlebt habe. Heute sehe ich auch das Goethetheater von innen <strong>und</strong> außen<br />

mit g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren Augen.<br />

Lobenswert war auch, dass es in Bad Lauchstädt engagierte Personen gab, die in unmittelbarer<br />

Nachkriegszeit Vorträge <strong>und</strong> Ver<strong>an</strong>staltungen org<strong>an</strong>isierten, <strong>an</strong> die ich mich heute noch erinnere.<br />

So gab es einmal einen Vortrag mit dem über Deutschl<strong>an</strong>d hin<strong>aus</strong> bek<strong>an</strong>nten Afrikaforscher<br />

Schomburg <strong>und</strong> einem führenden Graphologen <strong>aus</strong> Leipzig, der <strong>aus</strong> seinem kriminalistischen Wirken<br />

mit <strong>an</strong>schaulichen Beispielen aufwarten konnte.<br />

Sonntags ging es meist auf den Sportplatz. Fußball <strong>und</strong> H<strong>an</strong>dball, damals noch Feldh<strong>an</strong>dball, dominierten.<br />

Die Fußballer waren nicht besonders gut, aber sie haben viele Bälle „zerbolzt“. Über eine<br />

längere Zeit setzte ich ihnen die Bälle wieder inst<strong>an</strong>d, d. h. ich nähte die zerplatzten Nähte nach<br />

<strong>und</strong> klebte die Blasen. Fußbälle von damals sind mit heutigen kaum vergleichbar. Sie hatten einen<br />

l<strong>an</strong>gen Schlitz wie <strong>an</strong> einem Schuh. Dort wurde die Blase hineingesteckt, aufgepumpt über einen<br />

„Schnerpel“, der wurde zugeb<strong>und</strong>en, in die Lederhülle hineingedrückt <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n wurde der Schlitz<br />

mit einem Lederschnürsenkel verschnürt. Wehe, wenn m<strong>an</strong> beim Köpfen des Balls mit der Stirn<br />

diese Stelle erwischte. Ein blutunterlaufener Abdruck war diesem Spieler gewiss. Meist waren die<br />

Bälle auch unr<strong>und</strong>, weshalb sie beim Fliegen leicht taumelten <strong>und</strong> unberechenbar die Richtung änderten.<br />

Aber neue Bälle gab es nicht. Einigen Fußballern reparierte ich die Fußballschuhe <strong>und</strong><br />

strickte die Stutzen bzw. spezielle Socken für die Schienbeinschützer.<br />

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