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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Köpfen. Wie l<strong>an</strong>ge mag der Schnitzer <strong>an</strong> diesem Stück gearbeitet haben, <strong>und</strong> das für einige Scheiben<br />

Brot oder wenige Pellkartoffeln. Es gab auch Artikel, wo m<strong>an</strong> sagen musste: M<strong>an</strong> erkennt das<br />

Bemühen <strong>an</strong>, aber der Schnitzer hatte leider nur „zwei linke Hände“.<br />

Viele der Gef<strong>an</strong>genen wurden bei der Deutschen Reichsbahn als Arbeitskräfte eingesetzt. Im Allgemeinen<br />

war das <strong>aus</strong>geprägte Knochenarbeit, <strong>und</strong> das bei chronischer Unterernährung. Im Winter,<br />

wenn die Gehwege vereist waren, war unser Vater u. a. ver<strong>an</strong>twortlich für den Streudienst im<br />

Bereich der Eisenbahnhäuser unseres Wohngebietes. Ihm wurden meist zwei Gef<strong>an</strong>gene zugeordnet.<br />

Unsere Mutter schmierte immer zusätzlich Schnitten, wenn sie Vaters Frühstück bzw. Mittag<br />

fertig machte. Die bekamen die Gef<strong>an</strong>genen. Das durfte aber niem<strong>an</strong>d sehen, sonst hätte er<br />

erheblichen Ärger bekommen.<br />

Das Kriegsjahr 1941 verlief im Sinne der Nazioberen. Es wurde nur gesiegt, die Versorgung war im<br />

Prinzip uneingeschränkt <strong>und</strong> alles hatte einen optimistischen Anstrich. Es häuften sich aber immer<br />

mehr die Todes<strong>an</strong>zeigen in der Zeitung. „Gefallen für Führer, Volk <strong>und</strong> Vaterl<strong>an</strong>d“, hieß es stets.<br />

Als unser Walter am 31.Juli 1941 gefallen war, hatten wir wie die meisten eine Vorahnung weil die<br />

Feldpost über eine längere Zeit <strong>aus</strong>blieb oder unsere Post sogar zurückkam. D<strong>an</strong>n wurde es offiziell.<br />

Als die Benachrichtigung kam, ein Brief des Komp<strong>an</strong>iechefs, drehte unsere Mutter fast durch.<br />

Sie lief durch die Felder, war nicht mehr <strong>an</strong>sprechbar <strong>und</strong> war nicht mehr in der Lage den üblichen<br />

Tagesablauf mit Essenmachen usw. zu bewältigen. Solche Benachrichtigungen wurden in den<br />

nächsten Jahren zur Normalität. In einem der Nachbarhäuser sind in der einen Familie 3 Söhne<br />

<strong>und</strong> ein Schwiegersohn gefallen.<br />

In den Folgejahren, 1942 <strong>und</strong> 1943, wurden die Sondermeldungen über die großen Siege immer<br />

seltener. Ich k<strong>an</strong>n mich aber noch erinnern, dass es eine Sondermeldung gab, als Stalingrad verloren<br />

ging. Diese „Kapitulation“ der Deutschen Wehrmacht im Februar 1943 wurde aber vorerst verschwiegen.<br />

„Stalingrad ging eben trotz der heroischen Verteidigung“ verloren. Geländeverluste<br />

<strong>und</strong> verlorenen Schlachten wurden meist mit Frontbegradigung begründet.<br />

Wir verspürten die tatsächliche militärische Situation hautnah durch die Bewegungen auf unserem<br />

Bahnhof <strong>und</strong> dem weiteren Umfeld. Unsere Bahnstrecke war besonderen Belastungen durch Militärtr<strong>an</strong>sporte<br />

mit Kriegsmaterial <strong>und</strong> Wehrmachts<strong>an</strong>gehörigen <strong>aus</strong>gesetzt. Die Mehrzahl der Güterwagen<br />

hatte die weit sichtbare Aufschrift: „Räder müssen rollen für den Sieg.“ Der Volksm<strong>und</strong><br />

ergänzte: „Kinder machen für den nächsten Krieg.“ Da ich oft bei Vater auf der Blockstelle war,<br />

konnte ich die Zugfolge zählen. Im Prinzip war der Zugabst<strong>an</strong>d identisch mit den erforderlichen<br />

Fahrzeiten zwischen den Blockstellen bzw. Signalen. Jeder Güterzug hatte maximal 60 Achsen.<br />

Die Züge wurden meist von Wachm<strong>an</strong>nschaften begleitet. Das waren die Güterzüge der Wehrmachtstr<strong>an</strong>sporte.<br />

Es kamen aber auch Güterzüge mit Beutegut <strong>aus</strong> der <strong>an</strong>deren Richtung. Das<br />

waren meist l<strong>an</strong>dwirtschaftliche Erzeugnisse, z. B. bef<strong>an</strong>den sich geschlossene Güterwagen mit<br />

Sonnenblumenkernen darunter.<br />

Alle Personenzüge mit Fronturlaubern, besser gesagt mit den Soldaten, die vom Heimaturlaub zurück<br />

<strong>an</strong> die Front mussten, endeten bei uns. Die Soldaten mussten zu Fuß zum ersten Bahnhof in<br />

Litauen, nach Wirballen bzw. Kybarti gehen. Dort wurden sie entsprechend ihrer Ziele in Russl<strong>an</strong>d<br />

neu formiert. Da alle ein größeres Gepäckstück hatten, st<strong>an</strong>den wir mit unseren H<strong>an</strong>dwagen für<br />

den Tr<strong>an</strong>sport bereit. Das war für uns ein lukratives Geschäft, meist gab es 50 Pfennig für ein Gepäckstück,<br />

die Menge brachte einiges ein. Ich k<strong>an</strong>n mich noch erinnern, wie ein Eisverkäufer, er<br />

hatte so eine Art zweirädrigen Karren für seine gekühlten Eisbehälter, umrüstete, <strong>und</strong> Gepäck<br />

tr<strong>an</strong>sportierte. Eis gab es ohnehin kein ordentliches mehr. Es gab nur noch ein nach Süßstoff<br />

schmeckendes widerliches Schaumeis. Dieses neue Tr<strong>an</strong>sportgeschäft brachte ihm in kurzer Zeit<br />

so viel ein, dass er bald mit einem Pferdegesp<strong>an</strong>n <strong>und</strong> luftbereiften Wagen das große Geschäft<br />

machte. So konnte auch der kleine M<strong>an</strong>n am Krieg verdienen.<br />

Hier eine Anmerkung zu den Soldaten, die nach ihrem Heimaturlaub zurück <strong>an</strong> die Front mussten.<br />

Es waren nicht wenige, die psychisch den Erwartungen <strong>an</strong> der Front nicht mehr gewachsen waren.<br />

Bereits im Zug, der ja bei uns endete, gab es immer wieder Fälle, wo sich Soldaten das Leben genommen<br />

haben. Einmal hatte sich ein junger Leutn<strong>an</strong>t im parkähnlichen Hof des Hotels „Russischer<br />

Hof“ erschossen. So etwas sprach sich schnell in der Stadt herum. Belastend war immer,<br />

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