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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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wollten sich eines Tages bei dem hochr<strong>an</strong>gigen Offizier beschweren. M<strong>an</strong> konnte davon <strong>aus</strong>gehen,<br />

dass er möglicherweise Befehlsgewalt über die in L<strong>an</strong>dsberg oder Umgebung stationierten<br />

Truppen hatte. Und so passierte Folgendes: Als sich die Kutsche eines Morgens wieder unserem<br />

H<strong>aus</strong> näherte, gingen einige Frauen auf den Wagen zu <strong>und</strong> baten um Halt. Ich war auch dabei! Die<br />

Frauen trugen ihm ihr Anliegen vor. Er hörte aufmerksam zu <strong>und</strong> gab d<strong>an</strong>n in perfektem Deutsch<br />

folgende Antwort: „Bed<strong>an</strong>ken Sie sich bei Herrn Rosenberg über das Verhalten der russischen<br />

Soldaten!“ Das Gespräch war beendet <strong>und</strong> er setzte seine Fahrt fort.<br />

Am nächsten Tag erschienen zwei russische Soldaten <strong>und</strong> erteilten uns den Auftrag, einen gefallenen<br />

deutschen Soldaten zu beerdigen, der nur wenige h<strong>und</strong>ert Meter von uns entfernt hinter einer<br />

Wegkrümmung lag. Der Offizier wollte sicher diesen Anblick loswerden, denn er fuhr ja täglich<br />

<strong>an</strong> diesem Toten vorbei. Wir erfüllten den Auftrag, die aufgetaute Erde ließ das jetzt zu, fertigten<br />

auch ein provisorisches Kreuz <strong>und</strong> hängten einen Stahlhelm drauf. Hier musste ich voll mithelfen,<br />

ich konnte nicht mehr kneifen. Die beiden Soldaten hatten noch eine Hiobsbotschaft. Sie forderten<br />

uns auf, das H<strong>aus</strong> umgehend zu verlassen. So einfach löste der Offizier Probleme. Toter begraben<br />

<strong>und</strong> keinen Ärger mehr mit diesen Deutschen.<br />

Uns beschäftigte aber doch noch seine Antwort bei der Beschwerde, „Bed<strong>an</strong>ken Sie sich bei Herrn<br />

Rosenberg.“ Keiner von uns konnte mit diesem Namen etwas <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen. Viele Jahre später erfuhr<br />

ich <strong>aus</strong> politischem Interesse, dass Rosenberg der oberste Chefideologe der Nationalsozialisten<br />

war <strong>und</strong> ver<strong>an</strong>twortlich für die eroberten Gebiete. Seine Einflussnahme auf die Verbrechen der<br />

Deutschen dort sollen gewaltig gewesen sein.<br />

Noch <strong>an</strong> diesem Tag sollten wir das H<strong>aus</strong> verlassen <strong>und</strong> ins Ungewisse ziehen. Und wieder die Ironie<br />

des Schicksals: Wie bei der ersten <strong>Vertreibung</strong> sollte <strong>an</strong> diesem Tag noch Brot gebacken<br />

werden. Der Teig war <strong>an</strong>gesetzt, die Brote geformt, sie mussten noch gehen, aber zum Backen<br />

fehlte die Zeit. Wir beluden unseren kleinen H<strong>an</strong>dwagen, obendrauf die ungebackenen wabbligen<br />

Brote, die eigentlich Wärme brauchten. Unsere Entscheidung: Wieder zurück nach Hoofe auf das<br />

L<strong>an</strong>gh<strong>an</strong>s’sche Gr<strong>und</strong>stück. Aber auch dieses Mal sollte es <strong>an</strong>ders kommen. Die Straße nach<br />

L<strong>an</strong>dsberg bzw. über den Ort wollten wir meiden, schon wegen des militärischen Verkehrs. Wir<br />

entschieden uns, L<strong>an</strong>dsberg über Waldwege zu umgehen, um <strong>an</strong> Gr<strong>aus</strong>chinen vorbei von hinten<br />

nach Hoofe zu gel<strong>an</strong>gen. Dass die obenauf liegenden Brotteige uns bei diesem Wegzust<strong>an</strong>d ständig<br />

beschäftigten, muss ich nicht weiter beschreiben.<br />

Wir erreichten d<strong>an</strong>n auch nach einem beschwerlichen Marsch Hoofe. Das erste Gr<strong>und</strong>stück, der<br />

Besitzer hieß Kr<strong>aus</strong>e, lag auf einem Berg auf dem Abbau <strong>und</strong> erlaubte einen Blick zum Dorf <strong>und</strong><br />

den Gehöften jenseits der L<strong>an</strong>dsberger Straße. Hier machten wir Halt, um <strong>aus</strong> der Ferne die Situation<br />

zu erfassen. Das Gr<strong>und</strong>stück L<strong>an</strong>gh<strong>an</strong>s, unser eigentliches Ziel, Luftlinie etwa reichlich einen<br />

Kilometer entfernt, schien bewohnt. Dieses Gr<strong>und</strong>stück war ja der Ausg<strong>an</strong>gsort unserer ständigen<br />

<strong>Vertreibung</strong>en <strong>und</strong> der erste Kontaktpunkt mit den Sowjets.<br />

Nach längerer Beobachtung stellten wir fest, dass <strong>aus</strong>gerechnet dieses Gr<strong>und</strong>stück vom Militär belegt<br />

war <strong>und</strong> der Ausbildung junger Rekruten diente. Bei deutscher Marschmusik mittels Grammophon<br />

übte m<strong>an</strong> exerzieren <strong>und</strong> <strong>an</strong>deres was zur Gr<strong>und</strong><strong>aus</strong>bildung gehörte. Für uns hieß das: Dorthin<br />

können wir nicht. Ins Dorf wollten wir auch nicht. Somit entschieden wir uns, auf dem Gr<strong>und</strong>stück<br />

Kr<strong>aus</strong>e zu bleiben <strong>und</strong> abzuwarten, bis die Russen das L<strong>an</strong>gh<strong>an</strong>s´sche Gr<strong>und</strong>stück räumen<br />

würden. Die Gebäude des Gehöfts waren durch fünf Gr<strong>an</strong>attreffer erheblich beschädigt. Vier Treffer<br />

bekam das reedgedeckte Wohnh<strong>aus</strong> ab. Einen Treffer l<strong>an</strong>dete im Stall. Da dieses Gr<strong>und</strong>stück<br />

unsere Bleibe bis zum Verlassen <strong>Ostpreußen</strong>s im Dezember 1946 werden sollte, davon später<br />

mehr.<br />

Der heftige Beschuss dieses Gehöftes hatte sicher folgenden Zusammenh<strong>an</strong>g: M<strong>an</strong> konnte davon<br />

<strong>aus</strong>gehen, dass von diesen Geländehöhen, die nur wenige h<strong>und</strong>ert Meter parallel zur Heilsberg-<br />

L<strong>an</strong>dsberger Ch<strong>aus</strong>see verliefen, die auf L<strong>an</strong>dsberg vorrückenden sowjetischen Truppen am Vormarsch<br />

gehindert <strong>und</strong> unter Beschuss genommen worden sind. Das zeigte sich auch darin, dass<br />

am R<strong>an</strong>d eines nahegelegenen Wäldchens relativ viele einfache Unterstände durch die Wehrmacht<br />

<strong>an</strong>gelegt worden waren. Durch die überlegene Artillerie der Sowjets <strong>und</strong> den gezielten Beschuss<br />

des Waldr<strong>an</strong>des sahen die Bäume in diesem Bereich wie nach einem gewaltigen Wind-<br />

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