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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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meinte er fast väterlich. Als der Kontrolleur bzw. Kassierer kam, winkte er ab. Die beiden k<strong>an</strong>nten<br />

sich. Umg<strong>an</strong>gssprache war seinerzeit in Hamburg Plattdeutsch. Durch unser ostpreußisches Platt<br />

gab es mit der Verständigung keine Probleme, ich selbst sprach aber Hochdeutsch.<br />

Mit dem Bus ging´s d<strong>an</strong>n weiter noch Helmstorf, dem Endziel. Es war ein größeres gepflegtes Dorf<br />

mit den dort üblichen Bauerngehöften. Ich fragte mich erneut durch nach dem Bauern Peters. Im<br />

Dorf war es der „Moakensbuer“. Der Name war bek<strong>an</strong>nter als Peters. Und d<strong>an</strong>n traf ich Erwin! Ich<br />

brachte kaum ein Wort her<strong>aus</strong>, natürlich mit Tränen in den Augen. Er stellte mich dem Bauern vor<br />

<strong>und</strong> ich hatte meinen Platz am großen Tisch, <strong>an</strong> dem alle bei den Mahlzeiten saßen. Ich konnte<br />

mich für einige Tage richtig satt essen. Schon dafür hatte sich die Fahrt gelohnt.<br />

Während meines Aufenthalts im Dorf half ich bei allen zumutbaren Arbeiten, die <strong>an</strong>fielen. Unter<br />

<strong>an</strong>derem fuhren wir nach dem damals recht bek<strong>an</strong>nten Ort „Bendesdorf“. Dort gab es ein kleines<br />

Filmstudio, in dem gerade ein Film mit dem damals bek<strong>an</strong>nten Sch<strong>aus</strong>pieler Gustav Fröhlich gedreht<br />

wurde. Der Bauer Peters hatte dort eine Apfelpl<strong>an</strong>tage. Ich schrieb d<strong>an</strong>n gleich einen Brief<br />

nach H<strong>aus</strong>e. Die Post war damals nicht sehr schnell <strong>und</strong> es dürfte eine Woche gedauert haben, bis<br />

sich mein Verschwinden aufgeklärt hatte. Helmut war in der Zwischenzeit <strong>aus</strong> dem Quar<strong>an</strong>tänelager<br />

entlassen worden <strong>und</strong> w<strong>und</strong>erte sich nur, dass ich seinen Koffer nicht geholt hatte. Mein<br />

Verbleib war bis dahin ungeklärt. Als ich d<strong>an</strong>n zurückkam, war Helmut schon wieder fort. Kurz nach<br />

der Ankunft in Bad Lauchstädt bekam er eine Dienstverpflichtung nach Aue/Sachsen. Dort wurde<br />

für die Sowjetunion Ur<strong>an</strong>erz abgebaut, es war das größte Vorkommen in Europa <strong>und</strong> m<strong>an</strong> benötigte<br />

es für den Bau der Atombombe.<br />

In Aue im Untertage-Bergwerk herrschte ein Regime mit <strong>aus</strong>geprägt sowjetischen Gesetzen, wo<br />

m<strong>an</strong> fast um sein Leben b<strong>an</strong>gen musste. Helmut setzte sich in den nächsten Zug <strong>und</strong> fuhr zu Erwin.<br />

Auch er war dem „Moakensbuer“ eine willkommene Arbeitskraft <strong>und</strong> Erwins Einflussnahme<br />

auf Helmuts lockere Art konnte ihm nur gut tun.<br />

Meine Rückreise: Die Zeit drängelte zwar nicht, aber mein Aufenthalt in Helmstorf war ja nur ein<br />

spont<strong>an</strong>er Besuch. Erwin schlachtete noch ein K<strong>an</strong>inchen <strong>und</strong> auch <strong>an</strong>deres Essbares wurde in<br />

dem Rucksack verstaut. Von der Bäuerin bekam ich reichlich Provi<strong>an</strong>t, denn die Reisezeit war<br />

nicht kalkulierbar. Aber ich hatte noch etwas g<strong>an</strong>z Besonderes in meinem Rucksack. Der zweite<br />

Knecht vom Bauern pflügte in Dorfnähe einen kleineren Acker. Dabei kam etwas <strong>und</strong>efinierbar Metallenes<br />

zum Vorschein. Es waren mehrere große Fleischbüchsen mit etwa drei bis vier Kilogramm<br />

Inhalt. Wir konnten nur vermuten, dass sie <strong>aus</strong> einem Armeedepot stammten, denn sie waren englisch<br />

beschriftet. Die Diebe hatten sie wohl hier versteckt. Und so eine Büchse war nun in meinem<br />

Rucksack. Was für ein Reichtum in dieser Zeit! Allzu gern hätte ich die Gesichter der Diebe gesehen,<br />

aber letztlich vermissten sie auch nur etwas Gestohlenes.<br />

Der Rückweg über die Grenze war dieses Mal ein <strong>an</strong>derer, irgendwo weiter nördlich. Auch hier war<br />

es wieder so, dass m<strong>an</strong> im Zug mit etwas weiter geöffneten Ohren Informationen über sichere<br />

Grenzübergänge mithören konnte. Ich schloss mich ohne l<strong>an</strong>ge Bedenkzeit einer Gruppe <strong>an</strong>, die<br />

alle voll bepackt mit Heringen in Richtung Grenze marschierte. Die Rückfahrt mit der Reichsbahn<br />

war wieder ein Abenteuer. Bis Halberstadt lief alles ohne besondere Höhepunkte. Dort hieß es<br />

umsteigen <strong>und</strong> auf einen <strong>an</strong>deren Zug warten. Der Bahnsteig war wieder voller Menschen <strong>und</strong> m<strong>an</strong><br />

musste schon ein großer Optimist sein, um sich Ch<strong>an</strong>cen für die Weiterfahrt <strong>aus</strong>zurechnen. Zu unserem<br />

Erstaunen wurde ein leerer Zug eingesetzt. Noch vor dem Halt wurde er „gestürmt“, aber<br />

auf dem Bahnsteig sah m<strong>an</strong> kaum, dass es weniger Menschen geworden waren. Wie immer war<br />

der Zug total überfüllt, einschließlich Dach, Puffern <strong>und</strong> Trittbrettern. Die Bahnpolizei, so etwas gab<br />

es schon, forderte alle zum Verlassen des Zuges auf, die nicht Platz im Inneren gef<strong>und</strong>en hatten.<br />

Es wurde <strong>an</strong>gedroht, dass der Zug nur <strong>aus</strong> dem Bahnhof fährt <strong>und</strong> dort alle außerhalb der Waggons<br />

heruntergeholt werden <strong>und</strong> zum Bahnhof zurück müssen.<br />

Ich war bis unmittelbar in einen Türbereich gel<strong>an</strong>gt, die Tür konnte aber nicht geschlossen werden.<br />

Ein Polizist kam <strong>und</strong> forderte mich auf zurückzubleiben. Ich meinte: „Die drinnen müssen nur ein<br />

bisschen nachrücken, d<strong>an</strong>n passe ich noch hinein!“ Sein guter Wille verhalf mir zum Erfolg. Er<br />

nahm die Tür <strong>und</strong> mit wiederholtem „Hauruck“ drückte er mich in den Wagen. Zum Glück war das<br />

Türfenster auf, so dass ich mich hochziehen konnte, Körper auf den Fensterrahmen <strong>und</strong> nur noch<br />

die Beine waren im Inneren. Der Zug fuhr <strong>an</strong> <strong>und</strong> bewegte sich im Schritttempo tatsächlich nur <strong>aus</strong><br />

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