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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Eines Tages kam Padderke, ein gleichaltriger Junge <strong>aus</strong> dem Dorf, zu mir. Padderke ist sicher kein<br />

Vorname, aber so k<strong>an</strong>nte ihn jeder im Dorf <strong>und</strong> er reagierte auf diesen Namen. Er kam <strong>aus</strong> recht<br />

ärmlichen Verhältnissen, die Mutter arbeitete beim Bauern, einen Vater habe ich nie gesehen. Ich<br />

glaube, es gab auch keinen. Vielleicht war er auch <strong>an</strong> der Front. Wir verst<strong>an</strong>den uns gut. Er war<br />

sehr naturverb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wir hatten viele gemeinsame Interessen. Dazu gehörte auch das Schießen.<br />

Als wir allein waren, holte Padderke einen Trommelrevolver <strong>aus</strong> der Hosentasche, etwas kleiner<br />

als die üblichen, die ich bisher gesehen hatte. Nun gab es ein Problem mit der Munition er hatte<br />

keine. Das Kaliber war etwas kleiner als Kleinkaliber-Munition. Die hatte damals schon einen<br />

Durchmesser von 5,5 mm. Der Trommelrevolver hatte höchstens 5,0 mm. Hinzu kam, dass die<br />

Munition relativ kurz sein musste. Allerdings brauchte auch dieses System einen „R<strong>an</strong>dschlagzünder“.<br />

Das heißt. der Schlagbolzen schlägt nur auf den R<strong>an</strong>d der Patrone, <strong>und</strong> nicht in der Mitte des<br />

Patronenbodens. Woher nun diese <strong>an</strong>dere Munition bekommen? Wir ließen uns etwas einfallen.<br />

An KK-Munition r<strong>an</strong>zukommen, war überhaupt kein Problem. Wir hatten sie einfach <strong>und</strong> auch in<br />

<strong>aus</strong>reichender Stückzahl. Die Funktion des „Feuerwerkers“ übernahm ich. Also: KK-Patrone nehmen,<br />

Bleigeschoss r<strong>aus</strong>, Pulver r<strong>aus</strong>. Mit der Kombiz<strong>an</strong>ge die Patronenhülse um die Hälfte kürzen.<br />

Jetzt mit dem Schneidebereich der Kombiz<strong>an</strong>ge die Hülse so l<strong>an</strong>ge eindrücken, bis sie den<br />

Durchmesser erreicht hat, dass sie in die Trommel des Revolvers passt. D<strong>an</strong>n Pulver rein, die Geschoss-Spitze<br />

kürzen <strong>und</strong> den Durchmesser auch eindrücken. Die komplette Patrone durfte nur so<br />

l<strong>an</strong>g sein wie die Trommellänge des Revolvers. Hatten wir sechs Schuss auf diese primitive Weise<br />

gefertigt, war also die Trommel gefüllt, ging es in die Flur, immer den Hasenspuren nach. Wir<br />

meinten in unserer kindlichen Ph<strong>an</strong>tasie tatsächlich, einen Hasen aufspüren <strong>und</strong> abschießen zu<br />

können. Es war schon Winter, der Schnee hatte eine beachtliche Höhe <strong>und</strong> Hasen bzw. Hasenspuren<br />

oder sogar Wildwechsel gab es genügend. Meist sahen wir aber kaum einen Hasen <strong>und</strong> suchten<br />

uns d<strong>an</strong>n ein Ziel, um den Revolver leer zu schießen. Oft war das ein Warnschild <strong>an</strong> einem<br />

Strommast. In der Regel schoss Padderke. Aber einmal hatte ich auch das Bedürfnis, einen<br />

Schuss abzufeuern. Übrigens war unsere Munition qualitativ perfekt, es gab keinen Fehlzünder.<br />

Das H<strong>an</strong>dicap best<strong>an</strong>d lediglich darin, dass die Drehautomatik der Trommel nicht funktionierte <strong>und</strong><br />

von H<strong>an</strong>d weitergedreht <strong>und</strong> justiert werden musste. Padderke reichte mir den Revolver, ich hielt<br />

ihn schräg nach oben <strong>und</strong> Padderke griff von vorn über den Revolver <strong>und</strong> wollte die Trommel etwas<br />

nachjustieren. Ich, ein wenig aufgeregt, drückte vorzeitig ab. Ein Knall, Padderke springt weg,<br />

hält sich die H<strong>an</strong>d <strong>und</strong> für mich st<strong>an</strong>d fest, ich habe ihm einen Finger abgeschossen. Ein Schock!<br />

D<strong>an</strong>n schauten wir gemeinsam seine H<strong>an</strong>d <strong>an</strong>. Alle Finger waren noch dr<strong>an</strong>. Er hatte sich nur<br />

durch das Mündungsfeuer ein wenig verbr<strong>an</strong>nt. Wir hatten beide Glück! Mein Verl<strong>an</strong>gen, noch einmal<br />

zu schießen, war nach diesem Erlebnis gestorben.<br />

Das Basteln von Munition praktizierten wir jedoch weiterhin <strong>und</strong> die <strong>an</strong>schließende „Hasenjagd“<br />

behielten wir noch eine Weile bei. Doch d<strong>an</strong>n bekam Mutter Wind von unseren nicht ungefährlichen<br />

Spielereien <strong>und</strong> schlagartig brach ich meine Beteiligung ab. Aber Padderke wollte den Spaß<br />

weiterhin genießen. Er brauchte einen neuen Feuerwerker bzw. Gehilfen. Und das war Heinz<br />

Kablitzki, unser Schullek. Kablitzkis waren auch in Reddenau untergebracht. Es ging mit der gleichen<br />

Technologie weiter, in der Küche von Kablitzkis. Ich hatte das bei uns im abgeschlossenen<br />

Flur gemacht, deshalb hatte Mutter das erst sehr spät entdeckt. Bei dem neuen Gesp<strong>an</strong>n haperte<br />

es vermutlich <strong>an</strong> dem erforderlichen Feingefühl für die Herstellung des reduzierten Durchmessers<br />

der Patrone. Denn bald passierte Folgendes: Eine bearbeitete fertige Patrone passte nicht so richtig<br />

in die Trommel. Mit leichten Schlägen auf die Patrone wollte m<strong>an</strong> nachhelfen. Also legte m<strong>an</strong><br />

die aufgeklappte Trommel auf die Ecke des Küchenschr<strong>an</strong>ks, es krachte <strong>und</strong> die Kugel bohrte sich<br />

im Auflagebereich in das Möbelstück. Zu Schaden kam keiner. Sie hätten allerdings wissen müssen,<br />

dass es sich bei dieser Munition um R<strong>an</strong>dschlagzünder h<strong>an</strong>delt <strong>und</strong> ein bereits leichter Schlag<br />

auf den R<strong>an</strong>d die Patrone zündet. Und so endete das nicht besonders erfolgreiche „Projekt Trommelrevolver“.<br />

Noch ein Erlebnis, das sich in meinem Leben nicht wiederholen sollte. Eine richtige Treibjagd auf<br />

Hasen. Für die Einheimischen war dies ein sich jährlich wiederholendes Ereignis im Spätherbst jeden<br />

Jahres. Auch 1944 ließen die Staatsoberen <strong>und</strong> Bonzen sich die Freude am Schießen nicht<br />

nehmen, vor allem wenn es gegen wehrlose Tiere ging. Bei den Jägern waren nicht wenige junge<br />

rüstig <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> <strong>aus</strong>sehende Männer dabei. Was mögen sie für eine Kr<strong>an</strong>kheit haben, waren so<br />

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