05.01.2013 Aufrufe

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Da ich gerade ein wenig DDR-Geschichte beschreibe, will ich auch einige Anmerkungen zur Kollektivierung<br />

der L<strong>an</strong>dwirtschaft machen. Die Bildung von „L<strong>an</strong>dwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“,<br />

LPG, vollzog sich schon etwas früher <strong>und</strong> in mehreren Etappen. Hier war die indirekte<br />

Enteignung von Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden noch offensichtlicher, wobei Gebäude <strong>und</strong> Gerätschaften nur<br />

Beiwerk waren. Die Produktionsmittel waren die L<strong>an</strong>dwirtschaftlichen Flächen <strong>und</strong> die Zukunft der<br />

Produktivität sollte in der Großraumbewirtschaftung liegen. Das war die politische Zielstellung, ohne<br />

die Einstellung der Bauern zu berücksichtigen. Den über Generationen vererbten Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Boden, die eigene Scholle, gibt m<strong>an</strong> nicht ohne Weiteres her. Und so war d<strong>an</strong>n auch die Arbeitsmoral.<br />

Die Menschen in den Städten zeigte kaum Mitleid mit den Bauern. Sie hatten sich zu sehr<br />

versündigt <strong>an</strong> der Stadtbevölkerung, die in den ersten Nachkriegsjahren perm<strong>an</strong>ent Hunger litt.<br />

M<strong>an</strong>che Mutter hat die letzte Wäsche <strong>aus</strong> dem Schr<strong>an</strong>k genommen <strong>und</strong> bei den Bauern gegen ein<br />

paar Kartoffeln einget<strong>aus</strong>cht, damit die Kinder nicht verhungerten.<br />

Auch die LPGs erhielten enorme staatliche Unterstützungen, letztlich sollte der Beweis erbracht<br />

werden, dass die Produktivität merkbar höher ist als bei der Einzelbauernwirtschaft. Den Industriebetrieben<br />

wurden Patenschaften über LPGs „auferlegt“ <strong>und</strong> auch unser Betrieb musste ständig<br />

Gerätschaften für diese LPG <strong>an</strong>fertigen <strong>und</strong> kostenlos übergeben. Heute sind die Agrargenossenschaften<br />

als Nachfolger der LPG der konventionellen <strong>und</strong> individuellen L<strong>an</strong>dwirtschaft in der Produktivität<br />

nachweisbar weit überlegen.<br />

Nun zurück zu meiner beruflichen Entwicklung. Mit dem Selbstständigmachen wurde es nichts,<br />

aber verändern wollte ich mich schon. Ich musste mich vollkommen umorientieren. Das Bunawerk<br />

hatte eine große Bildungseinrichtung, allgemein Betriebsberufsschule gen<strong>an</strong>nt, kurz BBS. Sie entst<strong>an</strong>d<br />

bereits mit dem Aufbau des Werkes 1936 <strong>und</strong> umfasste die theoretische <strong>und</strong> praktische<br />

Ausbildung. Durch meine Umschulungszeit k<strong>an</strong>nte ich mich dort gut <strong>aus</strong>, k<strong>an</strong>nte die Mehrzahl der<br />

Lehrkräfte der praktischen Berufs<strong>aus</strong>bildung <strong>und</strong> deren Anforderungen. Bereits beim Abschluss<br />

meiner Umschulung 1951 fragte m<strong>an</strong> mich, ob ich als Ausbilder dort <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen wolle. Damals fühlte<br />

ich mich noch nicht reif für eine solche Tätigkeit. Vielleicht war es auch nur mein Alter. Ich lehnte<br />

ab. Auch einige Jahre später nahm m<strong>an</strong> erneut Kontakt zu mir auf, ich lehnte erneut ab <strong>und</strong> begründete<br />

das damit, dass ich meine h<strong>an</strong>dwerklichen Erfahrungen noch vertiefen wolle.<br />

Jetzt, 1958, fühlte ich mich <strong>aus</strong> eigenem Antrieb für eine Ausbildertätigkeit berufen. Hinzu kam,<br />

dass ich mit meinem Abschluss als Industriemeister bereits eine höhere Qualifikation besaß als die<br />

Mehrzahl der Ausbilder. Außerdem hatte ich auch extern im Werk einen Abschluss als Technischer<br />

Zeichner erworben. Geliebäugelt hatte ich schon mit einer Tätigkeit als technischer Zeichner, aber<br />

die Bezahlung dieser Tätigkeit war <strong>aus</strong>gesprochen schlecht.<br />

Nun war ich Lehr<strong>aus</strong>bilder! Außer meinem h<strong>an</strong>dwerklichen Können zeigten sich auch bald gute<br />

pädagogische Anlagen. Das wurde auch von meinen Vorgesetzten so gesehen <strong>und</strong> fast jedes Jahr<br />

wurde ich in <strong>an</strong>deren Berufen, auch neuen Berufen, eingesetzt. Ich machte das gerne, aber mit der<br />

Konsequenz, dass ich mich in jeden neuen Beruf hineinfinden <strong>und</strong> mir viel zusätzliches Wissen<br />

<strong>an</strong>eignen musste. Es waren Berufe wie: Betriebsschlosser, Rohrschlosser, Kraftwerksmaschinisten,<br />

Technische Zeichner. Und d<strong>an</strong>n bekamen wir Versuchsklassen <strong>aus</strong> der POS (Polytechnische<br />

Oberschule) <strong>und</strong> EOS (Erweiterte Oberschule, heute wieder Gymnasium). Die POS-Schüler erhielten<br />

während der 9. <strong>und</strong> 10. Klasse eine berufliche Gr<strong>und</strong><strong>aus</strong>bildung in <strong>aus</strong>gewählten Berufen,<br />

nach Schulabschluss folgte noch ein Jahr betriebliche Ausbildung, die mit der Facharbeiterprüfung<br />

abschloss.<br />

Bei den EOS-Schülern lief es <strong>an</strong>alog. Der Unterschied war nur, dass sie während der 11. <strong>und</strong> 12.<br />

Klasse die betriebliche Ausbildung absolvierten. Diese Schüler sollten neben der Abitur<strong>aus</strong>bildung<br />

den Facharbeiterabschluss erwerben <strong>und</strong> sich möglichst für ein technisches Studium entscheiden.<br />

Aber mit dem Interesse für ein solches Studium klappte es meist nicht. Bei beiden Ausbildungsvari<strong>an</strong>ten<br />

blieb es beim einmaligen Experiment. Die Doppelbelastung schien wohl doch zu groß. Anerkennend<br />

muss ich einschätzen, dass sich die Abiturschüler durch vorbildlichen Einsatz, Fleiß<br />

<strong>und</strong> Zielstrebigkeit <strong>aus</strong>zeichneten <strong>und</strong> auch nicht die schmutzigsten Arbeiten scheuten <strong>und</strong> die<br />

Ausbildung erfolgreich abschlossen.<br />

125

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!