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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Reddenau aufhielten, gab es keine größeren Belästigungen <strong>und</strong> Schik<strong>an</strong>en. Uns war aber klar,<br />

dass wir hier nicht bleiben konnten <strong>und</strong> wir eine Bleibe außerhalb des Ortes finden mussten.<br />

Jetzt bei Tageslicht, schien es uns zu gewagt, das Dorf in seiner vollen Länge zu passieren. 18<br />

Menschen in einer geschlossenen Gruppe fielen letztlich auf. Die Erlebnisse in Grünwalde hatte<br />

Spuren hinterlassen. Da wir ja alle Möglichkeiten im Umkreis des Dorfes k<strong>an</strong>nten, entschieden wir<br />

uns für ein Gehöft außerhalb des Dorfes abseits von der Straße. An einem l<strong>an</strong>dwirtschaftlichen<br />

Fahrweg Richtung Albrechtsdorf gab es zwei beiein<strong>an</strong>der liegende größere Gehöfte, reichlich 2 Kilometer<br />

von uns entfernt. Das eine gehörte zwei Brüdern, zufällig auch mit dem Namen Kohn, wie<br />

unsere Bäuerin, sie waren aber nicht mitein<strong>an</strong>der verw<strong>an</strong>dt. Ich war schon einmal vor längerer Zeit<br />

dort <strong>und</strong> hatte fehlgeleitete Post hin gebracht. Ich war somit mit der Lage des Gr<strong>und</strong>stücks vertraut.<br />

Bis zur Dämmerung war es noch l<strong>an</strong>g <strong>und</strong> unter den unmittelbaren Bedingungen zog sich die Zeit<br />

endlos hin. Wir hatten somit auch Gelegenheit, das uns bek<strong>an</strong>nte Umfeld etwas näher zu betrachten.<br />

Vor dem H<strong>aus</strong> lag ein Großteil unserer Kleidung, die wir noch von Eydtkau gerettet hatten. Sie<br />

war meist zerfetzt oder in den Schlamm getreten. Dieser Anblick tat weh. Wir hatten auch von<br />

Eydtkau unsere „Sparhexe“ mitgenommen, ein kleiner Herd, der auf einen <strong>an</strong>deren aufgesetzt<br />

werden k<strong>an</strong>n <strong>und</strong> wenig Brennmaterial verbraucht. Diesen kleinen Herd hatten Zufluchtsuchende<br />

<strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong> auf Ziegelsteine gesetzt, unmittelbar vor dem H<strong>aus</strong>, <strong>und</strong> mit einem <strong>an</strong>gesetzten<br />

Rohr statt eines Schornsteins als Feuerstelle genutzt. Eine junge Frau hatte gerade einen großen<br />

Topf mit Kartoffeln aufgesetzt <strong>und</strong> war mit dem Feuer beschäftigt. Ein junger russischer Soldat,<br />

nicht sehr vertrauenerweckend, ging auf sie zu <strong>und</strong> sagte etwas in Russisch. Couragiert versuchte<br />

die Frau auch etwas zu sagen, sicher wollte sie nur ihre begründete Angst überspielen. Ohne besonderen<br />

Anlass trat der Soldat mit dem Stiefel auf sie ein, sie fiel in den Schlamm, <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n passierte<br />

das gleiche mit dem Herd <strong>und</strong> den Kartoffeln. Es schien, als hasste dieser Mensch alles, was<br />

„deutsch“ war.<br />

In Vorbereitung unserer Aufbruchs fassten wir den Entschluss, dass ich mit der jungen Frau <strong>und</strong><br />

dem wenige Monate alten Baby im Kinderwagen versuchen sollte, abseits der Straßen, quer über<br />

die verschneiten Wiesen <strong>und</strong> Felder, zu dem Gehöft zu gel<strong>an</strong>gen. Allerdings sollte ich, wenn der<br />

Kinderwagen über die größten Hügel hinweg war, auf dem gleichen Weg zurückkommen. Dies gel<strong>an</strong>g<br />

wie gedacht. Trotz der vielen Russen um uns herum, beachtete m<strong>an</strong> uns kaum. Es war sehr<br />

<strong>an</strong>strengend unter diesen Geländebedingungen mit dem Kinderwagen vor<strong>an</strong>zukommen. Als wir,<br />

begünstigt durch das hügelige Gelände, vom Dorf nicht mehr zu sehen waren, kehrte ich um. Meine<br />

Aufgabe war erfüllt. Auf diesem Weg bei Dunkelheit zu den Gehöften im Abbau zu gel<strong>an</strong>gen,<br />

schien möglich.<br />

Nun geriet ich in eine Situation, die noch heute so fest in meiner Erinnerung gespeichert ist, dass<br />

ich die Bilder wiederholt vor Augen habe, als wäre das G<strong>an</strong>ze eben erst passiert. Ich war auf dem<br />

Rückweg <strong>aus</strong> dem hügeligen Gelände <strong>und</strong> ging auf die Gebäude zu, in denen die Anderen warteten.<br />

Ein Soldat, etwas weniger als h<strong>und</strong>ert Meter entfernt, sah mich im offenen Gelände, nahm seine<br />

Maschinenpistole, entsicherte sie, kniete sich in den Schnee, <strong>und</strong> zielte auf mich. Instinktiv setzte<br />

ich meinen Weg im bisherigen Tempo in seine Richtung fort <strong>und</strong> ließ keine Angst erkennen. Als<br />

ich bei ihm <strong>an</strong>kam, schulterte er seine MPi <strong>und</strong> führte mich ins nächstliegende H<strong>aus</strong>, da er mich<br />

wohl für einen Spion hielt. Das H<strong>aus</strong> war voller Soldaten. Alle betrachteten mich. Aber jetzt geschah<br />

etwas, was ich nicht erwarten konnte. M<strong>an</strong> stellte mir eine große Schüssel Fleisch auf den<br />

Tisch <strong>und</strong> ich sollte mich satt essen. In dieser Situation hatte ich weder Hunger noch Appetit, aß<br />

aber ein wenig. M<strong>an</strong> schob mir sogar einen Stuhl hin, damit ich mich setzen konnte.<br />

Nach einer Weile erschien ein Soldat, der gut deutsch sprach. Ich schilderte ihm meine Situation<br />

<strong>und</strong> unmittelbar d<strong>an</strong>ach nahm ein <strong>an</strong>derer Soldat seine Waffe <strong>und</strong> ging in die Richtung, <strong>aus</strong> der ich<br />

gekommen war. Nach geraumer Zeit kam er mit der jungen Frau <strong>und</strong> dem Kinderwagen zurück.<br />

Sie durfte gehen, ich blieb in der Obhut der Soldaten, schien aber jetzt glaubwürdig <strong>und</strong> war vom<br />

Verdacht, ein Spion zu sein, befreit. Es verging wieder eine längere Zeit. Ich wurde nach draußen<br />

geführt. Dort erwartete mich der deutsch sprechende Soldat mit einem Offizier höheren Dienstgrades.<br />

Sie sprachen mitein<strong>an</strong>der. Scheinbar war der Aspekt Spion zu sein, doch noch nicht g<strong>an</strong>z beseitigt.<br />

Ich musste meine Taschen entleeren, dabei kam das Kabelmesser zum Vorschein, das ich<br />

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