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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Meist wurden Räume von gewerblichen Berufsschulen genutzt. Nach Schulschluss, z. T. bis knapp<br />

22.00 Uhr, noch einmal reichlich fünfzehn Kilometer mit dem Fahrrad nach H<strong>aus</strong>e. Das war aber<br />

auch abhängig von der Jahreszeit. Im Winter oder bei schlechtem Wetter nutzte ich öffentliche<br />

Verkehrsmittel <strong>und</strong> war erst gegen 24.00 Uhr zu H<strong>aus</strong>e. Mit dem Fahrrad wurde es nicht g<strong>an</strong>z so<br />

spät. Am nächsten Tag ging es noch vor 6.00 Uhr wieder zur Arbeit. Das war <strong>an</strong> vier Tagen in der<br />

Woche so <strong>und</strong> ging über zwei Jahre. Der Samstagnachmittag war voll in der St<strong>und</strong>enpl<strong>an</strong>ung einbezogen.<br />

Die unterrichtsfreien Tage <strong>und</strong> der Sonntag dienten der Stoffnachbearbeitung. Die Belastung<br />

war so groß, dass m<strong>an</strong> am liebsten aufgehört hätte. Meinem Fre<strong>und</strong> Helmut ging es noch<br />

schlechter. Sein Weg war früh <strong>und</strong> abends noch reichlich vier Kilometer länger. Jeder erwartete<br />

vom <strong>an</strong>deren, dass er sagt: Wir hören auf. Aber keiner wollte sich die Blöße geben, zum Glück.<br />

Mit 21 Jahren war ich Industriemeister. M<strong>an</strong> hatte in der Zwischenzeit die Bezeichnung Werksmeister<br />

in Industriemeister geändert. An einen Einsatz als Meister war auch nach meinem Abschluss<br />

nicht zu denken. Andererseits fühlte ich mich auch noch nicht reif für eine solche ver<strong>an</strong>twortungsvolle<br />

Tätigkeit. Auch hierzu eine kleine Episode, <strong>an</strong> die m<strong>an</strong> sich oft erinnert, obwohl das<br />

Ereignis gar nicht so lustig war: Um den Heimweg etwas zu verkürzen, fuhren wir bei gutem Wetter<br />

über den Damm. Eigentlich war es ein Schutzdeich der Saale, der bei Hochwasser das Dorf „Passendorf“<br />

vor Überflutung schützen sollte. Und unmittelbar am Damm in Höhe des gen<strong>an</strong>nten Ortes,<br />

war ein Pumpwerk für die Wasserversorgung einer sowjetischen Garnison im Umfeld von Halle.<br />

Das Objekt war mit einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben <strong>und</strong> innerhalb lief ständig ein Militärposten<br />

mit der MPi im Anschlag. Es war immer ein mulmiges Gefühl, wenn m<strong>an</strong> in der Dunkelheit<br />

dort vorbei fuhr. Meist erhöhten wir mit dem Fahrrad das Tempo <strong>und</strong> riskierten keinen Blick zum<br />

Posten, um schnell außer Sichtweite zu sein.<br />

Der Posten richtete gr<strong>und</strong>sätzlich seine MPi in unsere Richtung, aber in der Regel passierte nichts.<br />

Das war selbst bei Tageslicht so. Einmal, spät abends, wir fuhren mit Licht, hörten wir schon von<br />

weitem rufen: „Galt zurück!“ Die Russen können, wie schon erwähnt, das „H“ nicht <strong>aus</strong>sprechen,<br />

<strong>und</strong> damit hieß es für uns: Zurück. Wir hatten einen deutlich längeren Weg <strong>und</strong> viel Zeit verloren.<br />

Das aber war kein Hinderungsgr<strong>und</strong> am nächsten Tag wieder dort l<strong>an</strong>g zu fahren, die Posten<br />

wechselten ja ständig. Ich glaube, dass es den Posten auch nicht g<strong>an</strong>z einerlei war, allein, relativ<br />

weit weg von der Garnison <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n noch in der Dunkelheit, das Objekt zu sichern. Meist waren<br />

es noch sehr junge Soldaten. Die besondere Episode war folgende: Es war wieder sehr spät, eigentlich<br />

schon nachts aber wir hatten Vollmond. Dem Posten war es sicher nicht un<strong>an</strong>genehm, sehen<br />

zu können, das galt auch für uns. Bei dieser Ausleuchtung des Weges fuhren wir kräftesparend<br />

ohne Dynamo, <strong>an</strong>dererseits waren wir auch ohne Beleuchtung sehr weit zu sehen. Wie immer<br />

vermieden wir Blickkontakt <strong>und</strong> genau in der Höhe des Pumpwerkes ein lauter Knall! Das Hinterrad<br />

fuhr auf der Felge, ich bekam einen gewaltigen Schreck <strong>und</strong> staunte, wie sicher der Posten mit<br />

seinem Schuss mein Hinterrad getroffen hatte, ohne mich zu treffen. Ich trat kräftig weiter in die<br />

Pedalen bis Helmut meinte: „Du hast einen Knallplatten, willst du nicht endlich absteigen?“ Erst da<br />

begriff ich, dass gar nicht geschossen wurde. Der Posten war sicher genau so erschreckt wie ich.<br />

Wir schoben die Räder <strong>aus</strong> dem Bereich des Pumpwerkes, wechselten beim Mondenschein den<br />

Schlauch <strong>und</strong> nach dieser Unterbrechung setzten wir die Fahrt fort.<br />

Etwas zu meiner beruflichen Tätigkeit nach dem Erwerb der Facharbeiterurk<strong>und</strong>e. Nach Beendigung<br />

der Umschulung gingen wir alle in unsere ursprünglichen Betriebe zurück. Natürlich wollte ich<br />

jetzt in einen <strong>an</strong>deren Werkstattbereich. Ich wollte eine Tätigkeit, die mich mehr forderte. In der Eisenbahn-Betriebswerkstatt<br />

der Bunawerke wurde alles inst<strong>an</strong>dgesetzt, was sich auf den Schienen<br />

bewegte. Das beg<strong>an</strong>n vom einfachen Güterwagen über spezielle Waggons bis zur Generalüberholung<br />

aller Lokomotiven, einschließlich Dieselloks <strong>und</strong> Feuerloks. Der attraktivste Bereich war die<br />

Inst<strong>an</strong>dhaltung der Dieselmotoren, <strong>und</strong> da wollte ich hin.<br />

Im Betrieb <strong>an</strong>gekommen, nahm ich Verbindung mit dem zuständigen Meister dieses Bereiches auf.<br />

Ich trug mein Anliegen vor. Er ließ mich vorerst stehen, verschw<strong>an</strong>d, kam nach kurzer Zeit wieder<br />

<strong>und</strong> akzeptierte mein Anliegen. Er hatte vermutlich mit der Lehrwerkstatt gesprochen <strong>und</strong> davon<br />

hatte er seine Entscheidung abhängig gemacht. Meister Peters, so hieß er, war auch mit dem Aufbau<br />

des Werkes nach Buna gekommen. Er schaute immer mürrisch drein, war etwas wortkarg so<br />

dass m<strong>an</strong> versuchte ihm <strong>aus</strong> dem Wege zu gehen. Später musste ich feststellen, dass er h<strong>an</strong>d-<br />

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