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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Eines Tages bekam die Familie Renkewitz ein Pferd <strong>und</strong> eine Kuh. Die Tiere stammten wohl auch<br />

<strong>aus</strong> den USA, auch diese Aktion lief über die UNRRA. Die Kuh hatte sich schnell mit ihrem neuen<br />

Zuh<strong>aus</strong>e abgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> war nicht scheu. Sie gab genügend Milch <strong>und</strong> erfüllte ihre Funktion. Das<br />

war mit dem relativ großen <strong>und</strong> kräftigen Pferd total <strong>an</strong>ders. Es verhielt sich wie ein eingef<strong>an</strong>gener<br />

Must<strong>an</strong>g, war wild, schreckhaft, scheu <strong>und</strong> vermutlich noch nie in einem Geschirr bzw. eingesp<strong>an</strong>nt<br />

vor einem Wagen. Damit sollte ein ahnungsloser unerfahrener Nichtbauer zurechtkommen!<br />

M<strong>an</strong> musste immer auf Abst<strong>an</strong>d bleiben <strong>und</strong> aufpassen, nicht von einem Beintritt erwischt zu werden.<br />

Eines Tages war ich beim Einfahren von Heu in der Nähe von L<strong>an</strong>dsberg behilflich. Das Aufladen<br />

des Heus <strong>und</strong> das Weiterführen des Wagens zu den einzelnen Haufen klappte g<strong>an</strong>z gut,<br />

doch d<strong>an</strong>n kam das Verhängnis: Der Wagen war beladen, oben auf nur die Tochter, die das Heu<br />

gestapelt hatte. Ihr wurde von unten die Leine zugeworfen. Das Pferd erschrak, raste los, drehte<br />

auf dem Acker eine enge Kurve, der Wagen kippte um, das Mädchen flog im hohen Bogen durch<br />

die Luft – d<strong>an</strong>n trat Ruhe ein. Zum Glück war ihr nichts Schlimmeres passiert, sogar der Wagen hat<br />

den Sturz ohne Bruch überst<strong>an</strong>den.<br />

Noch ein Beispiel des menschlichen Nebenein<strong>an</strong>ders, das eigentlich unerwünscht war. Familie<br />

Renkewitz bot uns <strong>an</strong>, unser Getreide <strong>und</strong> <strong>an</strong>deres bei ihnen zu deponieren, damit es uns niem<strong>an</strong>d<br />

wegnehmen konnte. Ich habe bei ihnen eine große Munitionskiste abgestellt <strong>und</strong> einen Teil unseres<br />

Roggens eingelagert. Jederzeit hatte ich Zug<strong>an</strong>g <strong>und</strong> holte geringe Mengen nach Bedarf. Mutter<br />

half oft auf dem Acker <strong>und</strong> klein Werner spielte in Eintracht mit Miros.<br />

Da ich d<strong>an</strong>n immer weniger gebraucht wurde, suchte ich nach schöpferischer Beschäftigung. So<br />

baute ich eine Windmühle mit etwa 2,5 m Sp<strong>an</strong>nweite <strong>und</strong> nutzte als Welle eine große Kreissäge,<br />

das Sägeblatt wurde natürlich entfernt. Ich hatte auch bald eine Idee für eine praktische Nutzung.<br />

Am <strong>an</strong>deren Ende der Welle befestigte ich ein großes Schwungrad von einem l<strong>an</strong>dwirtschaftlichen<br />

Gerät. Damit wollte ich einen Fahrraddynamo <strong>an</strong>treiben, um ein wenig Licht am Abend zu haben.<br />

Fahrraddynamos hatten früher ein Ritzel <strong>aus</strong> Eisen. Das Schwungrad, das ohnehin unr<strong>und</strong> lief, war<br />

auch <strong>aus</strong> Eisen. Gemeinsam gab das ein weit hörbares Geräusch, so als heulte eine Sirene. Ich<br />

hätte dadurch auf uns aufmerksam gemacht <strong>und</strong> gab auf. Eines Tages stolperte Opa Thieler gegen<br />

einen Windflügel <strong>und</strong> brach ihn ab. Damit war mein „Müllerspiel“ beendet.<br />

Wiederholt habe ich aufgezeigt, dass wir genügend Getreide für die Brotversorgung <strong>und</strong> auch für<br />

eine morgendliche Schrotsuppe hatten, aber der Roggen als Korn ist noch kein Mehl. Zu Beginn<br />

haben wir das Getreide mit Kaffeemühlen gemahlen. Allerdings musste es so getrocknet sein,<br />

dass es richtig knackte bzw. das einzelne Korn zerbrach. Eine mühsame Angelegenheit. Um die<br />

Kaffeemühle nicht immer auf dem Schoß halten zu müssen, baute ich eines Tages das Oberteil in<br />

eine B<strong>an</strong>k ein, es war eine sogen<strong>an</strong>nte Kämmelb<strong>an</strong>k, auf der m<strong>an</strong> Schurwolle zum Spinnen aufbereitete.<br />

Ich setzte mich wie auf einen Pferderücken auf die B<strong>an</strong>k <strong>und</strong> brauchte nur noch auffüllen<br />

<strong>und</strong> leiern. Das geschah meist in der Dunkelheit, denn unser Tag endete mit dem Sonnenunterg<strong>an</strong>g<br />

<strong>und</strong> mit dem Sonnenaufg<strong>an</strong>g beg<strong>an</strong>n er. Eine Nacht k<strong>an</strong>n sehr l<strong>an</strong>g sein. Beleuchtung gab es<br />

nicht. In der ersten Zeit f<strong>an</strong>den wir gelegentlich noch Petroleum, aber funktionierende Petroleumlampen<br />

gab es auch nicht. Die waren der Vernichtungswut der Russen zum Opfer gefallen. Meist<br />

waren die Glaszylinder zerborsten <strong>und</strong> eine Lampe ohne Zylinder ist nur eine Rußfackel. Um das<br />

Abendbrot zeitlich etwas hin<strong>aus</strong>zuschieben, habe ich Kienspäne <strong>an</strong>gefertigt, mich vor den offenen<br />

Herd gesetzt <strong>und</strong> versucht den Raum ein wenig <strong>aus</strong>zuleuchten. Ein Kiensp<strong>an</strong> rußt aber dermaßen,<br />

dass m<strong>an</strong> den Qualm in den Sog des Herdes abziehen lassen muss.<br />

Eines Tages hörte die mühsame Mehlmalerei mittels Kaffeemühle auf. Helmut hatte in Grünwalde<br />

eine funktionierende Schrotmühle aufgestöbert. Die hatten die Russen bei ihren Sammelaktionen<br />

vermutlich nicht entdeckt. Mit einem größeren Plattenwagen versuchten wir das Monster zu holen.<br />

So eine Mühle wiegt mehrere Zentner, aber wir schafften es mit viel Kraftaufw<strong>an</strong>d das Gerät unbeschädigt<br />

zu tr<strong>an</strong>sportieren <strong>und</strong> in der Scheune aufzustellen. Normal benötigt m<strong>an</strong> für den Antrieb<br />

einen mehrere Kilowatt starken Elektromotor. Wir halfen uns wie folgt: Wir beschafften uns von einem<br />

<strong>an</strong>deren Gerät eine Schwungscheibe von etwa 1,5 m Durchmesser. Die befestigten wir <strong>an</strong> der<br />

Antriebswelle <strong>und</strong> statt der Kurbel wurde eine armdicke l<strong>an</strong>ge St<strong>an</strong>ge in die Kurbelbefestigung gesteckt<br />

<strong>und</strong> am Ende in einem Balken justiert. Jetzt konnten mehrere Personen vereint die Mühle<br />

<strong>an</strong>treiben. Trotzdem musste das Getreide auf dem Herd getrocknet werden <strong>und</strong> m<strong>an</strong> musste fein<br />

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