05.01.2013 Aufrufe

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Lebenserinnerungen H<strong>an</strong>s-Siegfried Marks, Albrecht Dürer Str. 18, 06217 Merseburg, Tel. 03461-212739<br />

Später kam doch eine Verbindung zust<strong>an</strong>de <strong>und</strong> bald d<strong>an</strong>ach bekamen wir auch ein Paket mit einigen<br />

Lebensmitteln <strong>und</strong> einem M<strong>an</strong>tel für Mutter drin. Mutter erk<strong>an</strong>nte den M<strong>an</strong>tel als den, den ihre<br />

Schwester bei der Ausw<strong>an</strong>derung nach Argentinien noch hier in Deutschl<strong>an</strong>d getragen hatte.<br />

Wahrscheinlich war es der einzige, den sie überhaupt besessen hatte.<br />

Mutter, jung verheiratet, es waren bereits zwei Kinder geboren, war die Einzige, die nach der Ausw<strong>an</strong>derung<br />

der Familie in Deutschl<strong>an</strong>d zurückblieb. Es gab nur noch entfernte Verw<strong>an</strong>dte.<br />

Zu den vier Brüdern <strong>und</strong> meiner Schwester gibt es sehr Unterschiedliches zu erzählen. Das liegt<br />

vor allem dar<strong>an</strong>, dass die Kinder zum Teil mit 14 Jahren das elterliche H<strong>aus</strong> <strong>und</strong> die Familie verlassen<br />

haben <strong>und</strong> der Kontakt zu meinem ältesten Bruder durch den Altersunterschied sehr begrenzt<br />

war.<br />

Der älteste Bruder, Walter, Jahrg<strong>an</strong>g 1920, hatte in der Schule seine Grenzen, aber alle Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

einen Beruf zu erlernen. Er war <strong>aus</strong>geprägt naturverb<strong>und</strong>en, suchte seinen Freiraum<br />

<strong>und</strong> war ein lebensbejahender, hilfsbereiter <strong>und</strong> positiv eingestellter Mensch. Und unter solchen<br />

Vor<strong>aus</strong>setzungen sollte er den Beruf eines Schneiders erlernen. Seine kinderliebende Art führte u.<br />

a. dazu, dass die Kinder des Schneidermeisters ihn sehr mochten, ihm seine Frühstücks- <strong>und</strong> Mittagsschnitten<br />

abbettelten <strong>und</strong> Mutter ihm die doppelte Menge mitgeben musste. Er hatte wohl<br />

selbst seine Freude <strong>an</strong> den Kindern. Für ihn bedeutete die Lehrzeit aber den g<strong>an</strong>zen Tag eingesperrt<br />

zu sein, keine Freiheiten mehr zu haben. L<strong>an</strong>ge hielt er das nicht <strong>aus</strong>. Er warf bald „das<br />

H<strong>an</strong>dtuch!“<br />

Vater besorgte ihm kurz d<strong>an</strong>ach eine Lehre bei einem Schmied. Das hätte eigentlich besser zu<br />

seinen körperlich athletischen Vor<strong>aus</strong>setzungen gepasst. Aber auch diese Lehre hatte keinen l<strong>an</strong>gen<br />

Best<strong>an</strong>d. Eines Tages flog ein Hammer durch die Luft. Wer wen treffen wollte, habe ich nie erfahren<br />

können. Er wollte in die L<strong>an</strong>dwirtschaft, evtl. später einmal selbstständiger Bauer werden.<br />

„Da hätte ich immer frische Luft <strong>und</strong> meine ersehnte Freiheit“, meinte er. Angst vor der Arbeit hatte<br />

er nie.<br />

Es muss erwähnt werden, dass er zu dieser Zeit kaum älter als 15 Jahre war. In diesem Alter<br />

musste m<strong>an</strong> schon zupacken <strong>und</strong> z.B. 1 ½ Zentner schwere Säcke ohne Schwierigkeiten tragen<br />

können.<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!