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Erinnerungen an Kindheit, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen

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werklich seine Grenzen hatte. Da war selbst ich als junger Mensch besser. Das hat er wohl später<br />

auch so gesehen.<br />

Nach relativ kurzer Zeit war ich in diesem neuen Arbeitskollektiv voll integriert <strong>und</strong> h<strong>an</strong>dwerklich<br />

<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt. Aber es gab auch Privilegien: Die „Alten“, letztlich durch ihre Berufspraxis gest<strong>an</strong>denen<br />

Schlosser, hatten ein Erstrecht auf die <strong>an</strong>genehmeren Tätigkeiten. Und wie schon in meiner Zeit<br />

als „Schlosserhelfer <strong>und</strong> Hilfsschlosser“ wurde mir ein Kollege zugeordnet, der zwar gut zupacken<br />

konnte aber sich nur von seiner Routine leiten ließ. Er konnte nicht denken! Und so durfte ich wieder<br />

mit reichlich 19 Jahren die Regie übernehmen, trotzdem waren wir ein gutes Gesp<strong>an</strong>n.<br />

Diese ersten Nachkriegsjahre waren dadurch gekennzeichnet, dass wir für die Inst<strong>an</strong>dhaltung der<br />

Lokomotiven keine Ersatzteile bekamen <strong>und</strong> alles von H<strong>an</strong>d gefertigt werden musste. Die Herstellerfabriken<br />

lagen alle im westlichen Deutschl<strong>an</strong>d <strong>und</strong> über die DDR hatte m<strong>an</strong> ein Embargo verhängt.<br />

Wir bekamen nichts! Allerdings hatte das auch einen positiven Nebeneffekt, das h<strong>an</strong>dwerkliche<br />

Können wurde gefördert. Wir mussten <strong>aus</strong> dem fast „Nichts“ etwas machen. Einmal bekamen<br />

wir doch eine kleine Lieferung von Ersatzteilen. Die Kiste ging von der BRD in die Schweiz, von<br />

dort in die Tschechei <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>dete sie bei uns. Das war Anf<strong>an</strong>g der 50er Jahre.<br />

Zwei Beispiele sollen aufzeigen, wie damals versucht wurde, politische Ziele über wirtschaftliche<br />

Mech<strong>an</strong>ismen durchzusetzen. Wir hatten als erste Neu<strong>an</strong>schaffung nach dem Krieg einen modernen<br />

Schienenkr<strong>an</strong> von MAN bekommen. Über welchen Weg, war nicht bek<strong>an</strong>nt. Alle zu dieser Zeit<br />

vorh<strong>an</strong>denen Kräne liefen noch mit Kohlekessel <strong>und</strong> Dampfmaschine, fast wie <strong>aus</strong> einem <strong>an</strong>deren<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert. Dieser neue Kr<strong>an</strong>, bestaunt <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>ert, blieb nicht L<strong>an</strong>ge in Takt, der Dieselmotor<br />

war explodiert. Es gab keine Möglichkeit, einen Ersatzmotor zu bekommen. Der fast neue Kr<strong>an</strong><br />

st<strong>an</strong>d ungenutzt auf einem Abstellgleis. Nach einer gewissen Zeit versuchten wir <strong>an</strong> einen Motor<br />

zu kommen, der eventuell <strong>an</strong>gepasst werden könnte. Das bedeutete eine Suche in der g<strong>an</strong>zen<br />

DDR. D<strong>an</strong>n hat es doch irgendwie geklappt <strong>und</strong> ein absolut <strong>an</strong>derer Motor wurde mit erheblichem<br />

Aufw<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gepasst. So eine Aufgabe löste ich gern. Das gleiche geschah einmal mit dem einzigen<br />

Raupenkr<strong>an</strong> den Buna besaß. Dafür wurde ein U-Boot Motor aufgetrieben <strong>und</strong> der Kr<strong>an</strong> wieder<br />

nutzbar gemacht. Bei solchen Aufgaben hatte ich immer freie H<strong>an</strong>d, Lösungen musste ich selbst<br />

finden. Wir lebten in einer Zeit der ständigen Improvisation.<br />

Ich hatte schon erwähnt, dass wir während der Zeit der Umschulung bei der Entlohnung in ein Akkordsystem<br />

einbezogen waren. Der Begriff „Akkordlohn“ passte so gar nicht mehr in die sozialistische<br />

Begriffsorientierung. Akkordlohn war identisch mit kapitalistischer Ausbeutung des arbeitenden<br />

Menschen. Ab jetzt war es der „Leistungslohn“, der einen Mehrverdienst ermöglichte. Gr<strong>und</strong>lage<br />

war, dass die vorgegebenen Arbeiten kalkuliert werden mussten <strong>und</strong> m<strong>an</strong> bestrebt war, diese<br />

Zeiten zu unterbieten. Der neue Begriff für Kalkulieren war nun „Normieren“. Wir Dieselschlosser<br />

lagen in den Abrechnungen bei einem Mehrverdienst um reichlich 20 Prozent, alle <strong>an</strong>deren Werk-<br />

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