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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 129<br />

Versklavung und des Genozids an den dortigen Ureinwohnern. <strong>Die</strong> meisten<br />

der spanischen Soldaten, Verwaltungsbeamten und Kolonisten, die hungrig<br />

nach Gold und Macht waren, betrachteten die Bewohner dieser Neuen Welt<br />

als unwiderruflich Andere, die keine Menschen oder zumindest den Europäern<br />

von Natur aus unterlegen waren ­ und Las Casas berichtet uns, wie<br />

die Neuankömmlinge aus Europa diese schlimmer als ihre Tiere behandelten.<br />

In diesem Zusammenhang erscheint es fast wie ein Wunder, dass Las<br />

Casas, der ja an der spanischen Mission teilnahm, sich weit genug von der<br />

vorherrschenden Meinung lösen konnte, um auf der Menschenwürde der<br />

indianischen Bevölkerung zu beharren und die Brutalität der spanischen<br />

Herrscher zu verachten. Sein Protest beruhte auf einem einzigen Prinzip:<br />

Alle Menschen sind eins und gleich.<br />

Gleichzeitig sollte man jedoch bedenken, dass dieses humanitäre Projekt<br />

des guten Bischofs von Chiapas mit einer missionarischen Berufung verbunden<br />

ist. Denn Las Casas kann Gleichheit nur im Sinne von Identität<br />

denken. <strong>Die</strong> Indianer sind den Europäern in ihrem Wesen nur insofern<br />

gleich, als sie potenzielle Europäer sind, oder besser: potenzielle Christen:<br />

»<strong>Die</strong> Menschen sind von Natur aus gleich und werden alle in gleicher Weise<br />

von Jesus Christus gerufen.« Las Casas gelingt es nicht, über die eurozentrische<br />

Sicht Amerikas hinauszublicken, nach der die höchste Großzügigkeit<br />

und Wohltätigkeit darin bestehe, die Indianer unter die Kontrolle<br />

und den Schutz der wahren Religion und deren Kultur zu bringen. <strong>Die</strong> Eingeborenen<br />

sind danach unentwickelte potenzielle Europäer. In dieser Hinsicht<br />

gehört Las Casas einem Diskurs an, der von der potenziellen »Vervollkommnung«<br />

der Wilden ausgeht und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein<br />

reicht. Für die Indianer wie für die Juden im Spanien des 16. Jahrhunderts<br />

führte der Weg von der Verfolgung zur Freiheit über die Konversion zum<br />

Christentum. Las Casas ist somit gar nicht so weit von der Inquisition entfernt.<br />

Er erkennt, dass die Menschheit eins ist, aber er kann nicht erkennen,<br />

dass sie zugleich viele ist.<br />

Mehr als 200 Jahre nach Las Casas, im 18. Jahrhundert, als sich die<br />

Form der europäischen Herrschaft in Amerika verändert hatte und nicht<br />

mehr von Eroberung, Massakern und Plünderung geprägt war, sondern von<br />

der stabileren Kolonialstruktur einer großangelegten Sklavenwirtschaft und<br />

von Handelsniederlassungen, führte ein schwarzer Sklave namens Toussaint<br />

L'Ouverture in der französischen Kolonie Santo Domingo (heute Haiti)<br />

den ersten erfolgreichen Unabhängigkeitskampf gegen die moderne<br />

Sklaverei. Toussaint L'Ouverture war erfüllt von der Rhetorik der Französi­

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