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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 135<br />

rei als Übergangsstufe zwischen den natürlichen (d.h. autarken und isolierten)<br />

Ökonomien, die vor der europäischen Eroberung existierten, und dem<br />

eigentlichen Kapitalismus fungiert. Und in der Tat waren Ausmaß und Organisation<br />

der karibischen Plantagen des 18. Jahrhunderts in gewisser Hinsicht<br />

Vorläufer der industriellen Landwirtschaft im Europa des 19. Jahrhunderts<br />

(Blackburn 1988, 8). Doch die Sklavenarbeit in Amerika und der<br />

afrikanische Sklavenhandel waren nicht nur und nicht einmal vorrangig ein<br />

Übergangsstadium zum Kapitalismus. Sie waren vielmehr eine recht stabile<br />

Stütze, eine Säule der Überausbeutung, auf welcher der europäische Kapitalismus<br />

ruhte. Ein Widerspruch besteht hier nicht: <strong>Die</strong> Sklavenarbeit in<br />

den Kolonien ermöglichte den Kapitalismus in Europa, und das europäische<br />

Kapital hatte kein Interesse daran, diese aufzugeben.<br />

Zur selben Zeit, als die europäischen Mächte die Grundlage für die Sklavenwirtschaft<br />

jenseits des Atlantiks schufen, kam es auch in Europa, und<br />

hier vor allem in Ost­, aber auch in Südeuropa, zu einer Refeudalisierung<br />

der Landwirtschaft und damit zu einer starken Tendenz, die Mobilität von<br />

Arbeit zu blockieren und die Arbeitsmarktbedingungen auf dem Status quo<br />

einzufrieren. Europa wurde damit in eine zweite Epoche der Leibeigenschaft<br />

zurückgeworfen. Es geht aber an dieser Stelle nicht einfach darum,<br />

die Irrationalität des Bürgertums anzuprangern, sondern zu verstehen, inwiefern<br />

Sklaverei und Leibeigenschaft sich vollkommen mit der kapitalistischen<br />

Produktionsweise vereinbaren lassen: Beides sind Mechanismen,<br />

welche die Mobilität von Arbeitskraft einschränken und ihre Wanderungsbewegungen<br />

blockieren. Sklaverei, Leibeigenschaft und all die anderen<br />

Masken, hinter denen sich die Zwangsorganisation von Arbeit verbirgt<br />

­von den Tagelöhnern (Kulis) im pazifischen Raum und dem Peonage­<br />

System in Lateinamerika bis hin zur Apartheid in Südafrika ­ sind Kernelemente<br />

im kapitalistischen Entwicklungsprozess. In dieser Zeit bildeten<br />

Sklaverei und Lohnarbeit ein Paar, das die Entwicklung des Kapitalismus<br />

gemeinsam beförderte (vgl. dazu Moulier Boutang 1998).<br />

Ohne Zweifel gab es in Europa und Amerika Ende des 18., Anfang des<br />

19. Jahrhunderts viele edle und aufgeklärte Vertreter des Abolitionismus,<br />

die aus moralischen Gründen gegen die Sklaverei waren. <strong>Die</strong> Argumente<br />

der Gegner hatten jedoch nur dann einiges Gewicht, wenn sie den Interessen<br />

des Kapitals dienten, beispielsweise, um die Gewinne eines konkurrierenden<br />

Sklavenproduzenten zu schmälern. Selbst dann aber war ihre Macht<br />

ziemlich beschränkt. In Wahrheit konnten weder moralische Argumente zu<br />

Hause noch Rentabilitätsberechnungen in der Ferne das europäische Kapital

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