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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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90 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

erbärmlichen und erniedrigenden Friedens. Frieden war ein Wert, der innerhalb<br />

kurzer Zeit seine humanistischen, von Erasmus von Rotterdam geprägten<br />

Konnotationen verloren hatte, die ihn früher zu einem Weg der Veränderung<br />

gemacht hatten. Frieden war zur erbärmlichen Bedingung des blanken<br />

Überlebens geworden, zur äußersten Notwendigkeit, dem Tod zu entkommen.<br />

Frieden war schlicht und einfach dadurch gekennzeichnet, dass<br />

die Kampfparteien müde und die lodernden Leidenschaften erloschen waren.<br />

Der Thermidor hatte gesiegt, die Revolution war vorüber.<br />

Doch der Thermidor der Revolution hatte die Krise nicht beendet, sondern<br />

sie dauerte an. Der Bürgerkrieg war nicht beendet, sondern nur im Begriff<br />

der Moderne absorbiert worden. Denn die Moderne definiert sich gerade<br />

über die Krise, eine Krise, die sich aus dem unaufhörlichen Konflikt<br />

zwischen den immanenten, konstruktiven und schöpferischen Kräften auf<br />

der einen und der transzendenten Macht, welche die Ordnung wiederherstellen<br />

will, auf der anderen Seite definiert. 2 <strong>Die</strong>ser Konflikt ist der Schlüssel<br />

zum Begriff der Moderne, doch er wurde wirkungsvoll beherrscht und in<br />

Schach gehalten. <strong>Die</strong> kulturellen und religiösen Revolutionen wurden in<br />

rigide und mitunter grausame, einschränkende Strukturen gezwängt. Im 17.<br />

Jahrhundert wurde Europa wieder feudalistisch. Erstes und wirkungsvollstes<br />

Beispiel dieser Reaktion war die gegenreformatorische katholische Kirche,<br />

die einst selbst von einem Erdbeben der Reform und des revolutionären<br />

Bestrebens erschüttert worden war. <strong>Die</strong> protestantischen Kirchen und<br />

die politischen Ordnungen standen jedoch kaum dahinter zurück, als es darum<br />

ging, die Ordnung der Gegenrevolution zu installieren. Überall in Europa<br />

begannen die Feuer des Aberglaubens zu brennen. Und dennoch setzten<br />

die Er<strong>neue</strong>rungsbewegungen ihre Befreiungsarbeit an der Basis fort. Wo<br />

auch immer ihnen Räume verschlossen wurden, setzten die Bewegungen<br />

auf Nomadismus und Exodus, denn sie trugen das Begehren und die Hoffnung<br />

einer nicht zu unterdrückenden Erfahrung in sich. 3<br />

Der innere Konflikt der europäischen Moderne spiegelte sich gleichzeitig<br />

im globalen Rahmen als äußerer Konflikt. <strong>Die</strong> Ausbildung des Renaissance-Denkens<br />

fiel sowohl mit der europäischen Entdeckung des amerikanischen<br />

Kontinents wie mit den Anfängen der europäischen Vorherrschaft<br />

über den Rest der Welt zusammen. Europa hatte sein Draußen entdeckt.<br />

»Wenn das Zeitalter der Renaissance einen qualitativen Bruch in der Geschichte<br />

der Menschheit markiert«, so schreibt Samir Amin, »dann genau<br />

deshalb, weil sich die Europäer seit dieser Zeit der Vorstellung bewusst<br />

wurden, dass die Eroberung der Welt durch ihre Zivilisation fortan ein

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