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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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414 UNTERGANG UND FALL DES EMPIRE<br />

wieder aneignet und <strong>neue</strong> Maschinensysteme hybridisiert. Wir haben auch<br />

gesehen, wie sich die Macht der Menge in dem Vakuum materialisiert, das<br />

zwangsläufig im Herzen des <strong>Empire</strong> bleibt. Nun geht es darum, das Problem<br />

der Subjektwerdung der Menge innerhalb dieser Dimensionen zu verorten.<br />

Anders ausgedrückt: <strong>Die</strong> virtuellen Bedingungen müssen nun in konkreter<br />

Gestalt Wirklichkeit werden. Gegen den Gottesstaat muss der<br />

irdische Staat seine Macht beweisen, und zwar als Apparat der Vernunftmythologie,<br />

welche die biopolitische Realität der Menge bestimmt.<br />

Der Ausdruck, den wir hier in Bezug auf die Menge in ihrer politischen<br />

Autonomie und ihrer Produktionstätigkeit verwenden wollen, ist das lateinische<br />

Verb posse - Macht als Tätigkeit. Im Renaissancehumanismus<br />

stellte die Trias esse-nosse-posse (sein-wissen-vermögen) das metaphysische<br />

Herzstück des konstitutiven philosophischen Paradigmas dar, das dann<br />

mit der allmählichen Entstehung der Moderne in die Krise geraten sollte.<br />

<strong>Die</strong> moderne europäische Philosophie neigte in ihren Ursprüngen und in<br />

ihren schöpferischen Teilen, die nicht dem Transzendentalismus unterworfen<br />

waren, dazu, das posse ins Zentrum der ontologischen Dynamik zu<br />

stellen; Posse ist die Maschine, welche Wissen und Sein in einem expansiven,<br />

konstitutiven Prozess unauflöslich miteinander verbindet. Als die Renaissance<br />

ihr Reifestadium erreicht hatte und an dem Punkt angelangt war,<br />

an dem sie mit den Kräften der Gegenrevolution in Konflikt geriet, wurde<br />

das humanistische posse zu einer Kraft und zu einem Symbol des Widerstands:<br />

bei Bacon im Begriff der inventio oder des Experiments, bei Campanella<br />

in der Vorstellung von Liebe und in Spinozas Verwendung des Begriffs<br />

der potentia. Gerade weil dieser metaphysische Begriff im Widerstand<br />

fortlebte, wurde er zu einem politischen Terminus. Posse bezieht sich<br />

auf die Macht der Menge und ihr Telos, es verkörpert die Macht des Wissens<br />

und des Seins, die stets offen gegenüber dem Möglichen ist.<br />

Heute haben Rap-Bands in den USA den Begriff »posse« als Substantiv<br />

wiederentdeckt: Es bezeichnet die Kraft, welche musikalisch und buchstäblich<br />

die Gruppe definiert, die singuläre Differenz der postmodernen Menge.<br />

Selbstverständlich beziehen sich die Rapper wohl am ehesten auf die posse<br />

comitatus aus den Wildwesterzählungen, die harten und bewaffneten Männer,<br />

die ständig darauf warteten, vom Sheriff zur Jagd auf OutJaws geschickt<br />

zu werden. <strong>Die</strong>se amerikanische Fantasievorstellung von Vigilanten<br />

und Outlaws interessiert uns hier jedoch allenfalls am Rande. Weitaus interessanter<br />

ist es, einer tiefer reichenden, verborgenen Etymologie des Begriffs<br />

nachzuspüren. Es hat den Anschein, als habe ein seltsames Schicksal

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