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Hardt, Michael & Negri, Antonio - Empire.-.Die neue Weltordnung.pdf

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SYMPTOME DES ÜBERGANGS 167<br />

Wahrheitskommissionen<br />

Wir sollten uns daran erinnern, dass postmoderne und postkoloniale Diskurse<br />

nur an spezifischen geografischen Schauplätzen und bei einer bestimmten<br />

Klasse der Bevölkerung auf Resonanz stoßen. Als politischer<br />

Diskurs besitzt die Postmoderne eine gewisse Geltung in Europa, Japan und<br />

Lateinamerika, primär aber findet sie bei einem elitären Teil der USamerikanischen<br />

Intelligenz Anwendung. In ähnlicher Weise ist die postkoloniale<br />

Theorie, die gewisse postmoderne Tendenzen teilt, in erster Linie<br />

von Kosmopoliten entwickelt worden, die ständig zwischen den Metropolen<br />

und den großen Universitäten Europas und der USA unterwegs sind.<br />

<strong>Die</strong>se Spezifik entwertet die theoretischen Perspektiven keineswegs, aber<br />

sie sollte uns doch für einen Moment innehalten und über deren politische<br />

Implikationen und praktische Auswirkungen nachdenken lassen. Im Laufe<br />

der Geschichte sind zahlreiche genuin progressive und befreiende Diskurse<br />

aus elitären Gruppen heraus entstanden, und es ist nicht unsere Absicht, an<br />

dieser Stelle die Berechtigung solchen Theoretisierens tout court in Frage<br />

zu stellen. Viel wichtiger als die Spezifität dieser Theoretiker ist die Resonanz,<br />

auf die deren Vorstellungen an verschiedenen Orten und bei verschiedenen<br />

Klassen stoßen.<br />

Viele Menschen auf dieser Welt werden Hybridität, Mobilität und Differenz<br />

mit Sicherheit nicht sogleich als per se befreiend empfinden. Riesige<br />

Bevölkerungen werden Mobilität eher als Aspekt ihres Leidens betrachten,<br />

weil sie dadurch unter entsetzlichen Umständen immer schneller zu Entwurzelten<br />

werden. Mehrere Jahrzehnte lang kam es als Teil des Modernisierungsprozesses<br />

zu massiven Wanderungsbewegungen aus ländlichen Gebieten<br />

in die metropolitanen Zentren innerhalb jedes Landes wie auch<br />

weltweit. Der internationale Arbeitsfiuss hat in den letzten Jahren immer<br />

weiter zugenommen, und zwar nicht nur von Süd nach Nord in Gestalt legaler<br />

oder illegaler Gastarbeiter und Immigranten, sondern auch von Süd<br />

nach Süd. also die temporäre oder semipermanente Arbeitsmigration in den<br />

südlichen Regionen, etwa wenn Arbeitskräfte aus Südostasien in die Staaten<br />

am Persischen Golf wandern. Doch selbst diese massive Migration von<br />

Arbeitskräften wird an Zahl und Elend bei weitem von denjenigen übertroffen,<br />

die aufgrund von Hunger und Krieg ihre Heimat und ihr Land verlassen<br />

mussten. Schon ein flüchtiger Blick auf diese Welt, von Mittelamerika bis<br />

Zentralafrika, vom Balkan bis nach Südostasien macht die verzweifelte Not<br />

derer deutlich, die zu solcherart Mobilität gezwungen wurden. Für sie be­

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